Gilda und Günther gingen auch den letzten Weg miteinander

Vorarlberg / 09.10.2023 • 13:41 Uhr
Gilda und  Günther hielten bis zuletzt Händchen.
Gilda und Günther hielten bis zuletzt Händchen.

Nur fünf Tage nach ihrem Tod folgte Günther Kilian seiner geliebten Frau Gilda nach.

Schruns Gilda Salzgeber und Günther Kilian heirateten am 15. August 1954. Der Hochzeitstag war den beiden immer wichtig. Die Volksschullehrerin und der technische Zeichner feierten ihn jedes Jahr in gebührender Weise. „Mama bekam von Papa immer Blumen geschenkt“, erinnert sich Edgar Kilian (60), der einzige Sohn des Ehepaares. Die Ehe war nicht konfliktfrei. „Manchmal sind die Fetzen geflogen. Zu einer ernsten Ehekrise kam es aber nie. Unterm Strich haben meine Eltern zusammengehalten.“ Das Paar umschiffte die Klippen des Ehealltags und wurde gemeinsam alt.

Nach der Hochzeit fuhr das junge Ehepaar nach Rimini und verbrachte dort seine Flitterwochen.
Nach der Hochzeit fuhr das junge Ehepaar nach Rimini und verbrachte dort seine Flitterwochen.

Mit Mitte Achtzig erkrankte Gilda an Demenz. „Plötzlich hörte Mama auf, die Hausarbeit zu machen.“ Ihr Ehemann sprang ein und wurde zu einem passablen Hausmann. „Er kümmerte sich rührend um seine Frau.“ Aber die Krankheit schritt unbarmherzig voran. „Als Mama immer mehr Unterstützung benötigte, engagierten wir eine 24-Stunden-Betreuerin.“ Kurz vor ihrem 90. Geburtstag stand Gilda bei einer Feier abrupt auf. Sie machte einen Schritt vorwärts und stürzte zu Boden. „Mama hatte vergessen, dass sie nicht mehr gehen konnte.“ Bei dem Sturz brach sich die betagte Frau das Steißbein.

Die Kilians mit ihrem Sohn Edgar am Ufer des Bodensees.
Die Kilians mit ihrem Sohn Edgar am Ufer des Bodensees.

Nach dem Spitalaufenthalt kam Gilda ins Pflegeheim St. Josef in Schruns. Dort war sie bestens betreut und allein in einem Doppelbettzimmer untergebracht. „Anfangs besuchte Papa sie jeden Tag, später konnte er nur noch zwei bis dreimal in der Woche zu ihr gehen. Denn auch seine Gesundheit hatte sich verschlechtert. Er litt an Parkinson. Außerdem hatte seine Sehkraft stark nachgelassen.“ Günther, der immer mehr Unterstützung brauchte, wollte zu seiner Frau ins Heim. „Als man ihn fragte, ob er sich mit Gilda ein Zimmer teilen wolle, meinte er entrüstet: ,Aber das ist doch klar.‘“

Ein Schnappschuss aus den Bergen.
Ein Schnappschuss aus den Bergen.

Drei Jahre verbrachte das Ehepaar zusammen im Heim. Im Aufenthaltsraum gaben sie ein schönes Bild ab. „Meine Eltern saßen an ihrem Tisch und hielten Händchen, den ganzen Tag, wie zwei verliebte Teenager“, erzählt Edgar lächelnd. Zuletzt redete Gilda kaum mehr. „Aber ihre Augen sprachen. Doch Papa konnte das nicht sehen, da er fast blind war.“ Das Paar kommunizierte über Händedruck. Gildas Stimmung wechselte. „Manchmal saß sie nur apathisch da, und manchmal war sie lebhaft. Dann lachte sie meistens.“

Gilda und Günther hielten immer fest zusammen.
Gilda und Günther hielten immer fest zusammen.

Edgar rief seinen Vater jeden Abend im Heim an. „Dann schilderte er mir ausführlich, wie es ihm mit Mama ergangen war. Einmal sagte er zu mir: ,Heute Vormittag war sie lieb, am Nachmittag schwierig. Sie hat schon wieder kein Wort mit mir geredet.‘ An einem anderen Tag entrüstete er sich: ,Ich hatte heute eine Auseinandersetzung mit der Mama – schweigend.‘“

Edgar mit seinen Eltern und seinem Sohn Mane.
Edgar mit seinen Eltern und seinem Sohn Mane.

Aufgrund eines Oberschenkelhalsbruches musste Günther Ende Juni dieses Jahres ins Spital eingeliefert werden. „Im Krankenhaus fragte er mich nach Mamas Befinden. Er wollte so schnell wie möglich wieder zu ihr.“ Günther erholte sich rasch und konnte nach zehn Tagen entlassen werden. Aber im August kam es neuerlich zu einem gesundheitlichen Rückschlag. Der betagte Mann erkrankte an einer Lungenentzündung. „Sein größtes Anliegen war jetzt, dass er den Hochzeitstag mit Mama feiern kann. Er habe schließlich schon eine Flasche Sekt bestellt.“

Edgar mit seiner Mutter Gilda. Sie starb am 12. September dieses Jahres.
Edgar mit seiner Mutter Gilda. Sie starb am 12. September dieses Jahres.

Inzwischen hatte die Heimleitung Edgar informiert, dass seine Mutter nicht mehr isst und trinkt. Edgars erster Gedanke: Mama vermisst Papa. Und in der Tat. Als Günther ein paar Tage nach dem Hochzeitstag zurück ins Heim kam, begann sich der Zustand seiner Frau zu stabilisieren. „Aber dafür ging es jetzt mit Papa rasant abwärts. Ich dachte mir, dass er als erster stirbt.“ Doch Edgar irrte sich. Am 12. September tat seine 96-jährige Mutter nach einem langen und erfüllten Leben für immer die Augen zu. Nur fünf Tage später, am 17. September, folgte ihr der Gefährte, mit dem sie 69 Jahre durchs Leben gegangen war, nach. „Nach Mamas Tod konnte auch Papa beruhigt gehen. Das Leben machte für ihn jetzt keinen Sinn mehr.“ Für Edgar ist es „ein bemerkenswertes Zeichen der Liebe“, dass seine Eltern zusammen gegangen sind. „Sie gingen Hand in Hand durchs Leben und sind jetzt auch den letzten Weg miteinander gegangen.“

Gilda und Günther gingen auch den letzten Weg miteinander
Gilda und Günther gingen auch den letzten Weg miteinander