Bauernproteste
In Deutschland gibt es bei 85 Millionen Einwohnern nur noch eine Viertelmillion Bauern. Ihre Bedeutung ist jedoch groß. Dieser Tage ist sie im Zuge einer Protestwoche sogar größer geworden als es ihren Standesvertretern recht sein konnte. Sie sahen sich gezwungen, sich dagegen zu wehren, durch Rechtsextreme, Umsturzpropagandisten und Reichsbürger vereinnahmt zu werden: „Ihr gehört nicht zu uns“, stellten sie klar.
Zuvor hatte sich der Bauernverband von eigenen Leuten distanziert, die Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) im hohen Norden daran hinderten, eine Fähre zu verlassen. Das zeigt, dass die Selbstkontrolle funktioniert. Die meisten Bauern nehmen ohnehin nur ihr demokratisches Recht in Anspruch, auf ihre Anliegen hinzuweisen. Am Bodensee waren sie mit Traktoren unterwegs, um lästig zu sein, aber nicht das Land lahmzulegen: „Zwischen allen paar Maschinen lassen sie eine Lücke für jene, die überholen wollen“, hieß es in einer VN-Reportage.
„Umstürzler setzen darauf, dass eine Massenbewegung daraus wird – gerichtet gegen Regierende, die ihrer Erzählung nach versagen.“
Es ist wichtig, hier ein paar Dinge auseinanderzuhalten: Im Unterschied zu Österreich hat Deutschland keine Regierung mit einer Partei wie der ÖVP, die sich als Agrarlobby versteht. Sozialdemokraten, Grüne und Liberale, die in Berlin koalieren, haben weniger Hemmungen, Förderungen zu streichen. Also geraten Bauern in Deutschland stärker unter einen Druck, der sie nun auf die Straße getrieben hat.
Genauer: Bleiben sie unter einem Druck, der schon lange existenziell ist und dem sie anders, aber doch, auch hierzulande ausgesetzt sind. Das Paradies mit ein paar Kühen existiert nur in verkitschten Darstellungen. An die Stelle kleiner Bauernhöfe sind größere Betriebe mit automatisierten Abläufen getreten, die sich trotzdem nicht rentieren.
Wie auch? Das Schnitzel muss billig bleiben, fordern Sozialdemokraten und Freiheitliche. Auch Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) legt Wert darauf, wenn es darum geht, beim Tierschutz zu bremsen und Kosten niedrig zu halten. Tierschutz und Klima stehen für Grüne im Vordergrund. Unterm Strich kann sich das für einen Bauern unmöglich ausgehen, sofern er nicht das Glück hat, über eine erlesene Kundschaft zu verfügen, die gerne mehr zahlt.
Für viele Bauern ist es ein Drama, wenn sie aufhören müssen. In ihrem Fall geht es nicht um einen „9-to-5-Job“, sondern um eine Vollzeittätigkeit in x-ter Generation auf eigenem Grund und Boden. Da geht es in besonderer Weise um Identität.
In der gesamten Gesellschaft und in Zeiten multipler Krisen sind zumindest abgeschwächt sehr viele Menschen mit Veränderungsprozessen konfrontiert, die schmerzlich sind, weiten sich Abstiegsängste aus. Daher möchten die eingangs erwähnten Umstürzler in Deutschland die Bauernproteste auch so gerne für ihre Zwecke missbrauchen. Sie setzen darauf, dass eine Massenbewegung daraus wird – gerichtet gegen Regierende, die ihrer Erzählung nach versagen, gewohnte Verhältnisse zu bewahren, ja die auf das Schicksal kleiner Leute angeblich pfeifen würden. Sie wissen, dass sich so eine Wut schüren lassen könnte, die brandgefährlich ist.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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