Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Der Brei

Vorarlberg / 17.01.2024 • 06:30 Uhr

Das Kind schlug den Löffel in den Brei, und der spritzte über den Tisch. Die Mutter putzte mit einem Lappen, dabei verschmierte sie alles. Der Vater zog über den Schlafanzug seinen Mantel an und sagte, er gehe Zigaretten kaufen.
„Bringst du mir auch welche mit?“, fragte seine Frau, und er: „Du wolltest doch mit dem Rauchen aufhören.“
„Dann eben nicht“, sagte die Frau.
Sie hob das Kind vom Stuhl, trug es in die Badewanne, machte es nackt und brauste den Kinderbauch. Das Kind schrie, fuchtelte mit den Händchen, als wolle es das Wasser abwehren.
Die Mutter sah sich in zehn Jahren mit dem Schulkind beim Vokabeln lernen, in zwanzig Jahren, wie sie auf ihren Sohn wartet, der ausgegangen war und ewig nicht heimkommt. Wenn nur alles schon vorbei wäre! Es kann ja nicht besser werden! Wahrscheinlich wird mein Mann bald keine Freude mehr an mir haben, aber habe ich denn noch Freude an ihm? Er ist so gleichgültig geworden! Früher hatte sie gedacht, er brauche sie, sie könne ihn motivieren, wenn er sich nicht gut fühlt.
Jedenfalls braucht mich der Kleine noch. Sie seifte sein Köpflein ein, wusch es ab, trocknete, hob ihn aus der Badewanne und küsste ihn.
Ist der Mensch nur etwas wert, wenn er gebraucht wird?
Was, wenn ein Unglück geschähe?
Angenommen der Kleine würde sich von der Hand des Vaters losreißen und im Getümmel auf dem Rummelplatz verschwinden. Der Vater wollte nämlich für seinem Sohn ein Spielzeug schießen. Als hätte die Mutter es herbeigerufen, war das Kind seinem Vater davongelaufen, und er hatte es stundenlang nicht gefunden. Er war außer sich gewesen, hatte statt der Polizei seine Frau angerufen, sie wiederum hatte die Polizei verständigt.

„Bei der Polizei war es so lustig, viel lustiger als zu Hause.“

Der Kleine saß in der Polizeiwache auf dem Schoß einer jungen Polizistin und lachte. Sie sang ihm vor: „Hoppe, hoppe Reiter, wenn er fällt dann schreit er. Fällt er in den Graben, fressen ihn die Raben. Fällt er in den Sumpf, macht der Reiter plumps.“
Jedes Mal wenn sie „plums“ sagte, prustete das Kind vor Freude. Mutter und Vater kamen gemeinsam, sie hielten sich an der Hand. Der Kleine wollte nicht mit ihnen mitgehen.
„Nein, keinen Brei!“, rief er.
Bei der Polizei war es so lustig, viel lustiger als zu Hause.
Das Kind sei allein auf dem Rummelplatz herum spaziert, während der Vater mit einem Bekannten gesprochen hatte, sei neugierig am Karussell gestanden, eine Frau hatte ihn draufgesetzt, und er war Runden gefahren, bis ihm schlecht wurde und er vom Sitz fiel. Die Frau brachte ihn zur Polizei.
„Ich konnte nicht herausbringen, wie er heißt“, hatte sie gesagt.

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.