Pera Kostur ist nun daheim im einst fremden Land

Vorarlberg / 21.01.2024 • 16:05 Uhr
Pera Kostur ist als Gastarbeiterin nach Vorarlberg gekommen. <span class="copyright">HRJ</span>
Pera Kostur ist als Gastarbeiterin nach Vorarlberg gekommen. HRJ

GEKOMMEN UND GEBLIEBEN Pera Kostur (80) kam aus Kroatien. Sie lebt seit 57 Jahren in Vorarlberg. Doch ein Teil ihrer Seele ist in Kroatien geblieben.

BREGENZ Krieg hat verheerende Auswirkungen. Gemeinschaften werden zerstört, Familien auseinandergerissen, soziale Strukturen brechen zusammen. Der Tod ist allgegenwärtig. Betroffene Menschen leben in Angst und Verzweiflung. Als der Jugoslawienkrieg ausbrach, lebte Pera Kostur als Gastarbeiterin in Vorarlberg. Trotzdem litt sie stark unter dem Zerfall ihres Herkunftslandes. Neben ihrem Haus hat sie damals auch ihre Identität verloren.

„27 Jahre haben mein Mann und ich an unserem Haus gebaut und viel Geld investiert. Dann wurde es von einem Moment auf den anderen zerstört“, sagt Pera Kostur und kämpft mit den Tränen. Die Erinnerung bewegt die Pensionistin, deren Leben am 4. April 1943 als Pera Plasonic in Kosore, einem kleinen Dorf bei der Stadt Vrlika im Dalmatinischen Hinterland, begonnen hat. Der Zweite Weltkrieg dauert seit vier Jahren an, in Jugoslawien entsteht unter Josip Bros Tito die Partisanenbewegung, die gegen die deutschen Besatzer und deren Verbündete kämpft.  

Das Haus der Familie Kostur im Dorf Kosture wurde im Krieg zerstört. <span class="copyright">HRJ</span>
Das Haus der Familie Kostur im Dorf Kosture wurde im Krieg zerstört. HRJ

Pera wächst mit ihren Eltern und einem Bruder in einem alten Steinhaus in der Abgeschiedenheit von Kosore auf. Nach Absolvieren von Grund- und Mittelschule arbeitet sie in einer Weberei in Vrlika. Anfang der 1960er-Jahre verliebt sie sich in Rade Kostur, einen Finanzbeamten aus dem benachbarten Dorf Kosture. Geheiratet wird am 11. Februar 1964. Im Jahr darauf kommt Tochter Vesna zur Welt. Ein Jahr später entscheiden sich Pera und Rade als Gastarbeiter nach Vorarlberg zu ziehen. Rades Bruder Djuro ist schon dort.

Die Tschuschen

Nach einer elend langen Zugreise kommen die Kosturs am 25. Oktober 1966 in Bregenz an. Es regnet. „Djuro holte uns ab und nahm uns mit zu sich nach Wolfurt. Wir wohnten anfangs bei ihm. Zwei Monate später zogen wir nach Kennelbach“, schildert Pera. Sie und ihr Mann bekommen Arbeit in derselben Fabrik, in der Djuro beschäftigt ist.

Jasna und Pera mit dem Hochzeitsbild der Kosturs, die 1964 den Bund des Lebens geschlossen haben. <span class="copyright">HRJ</span>
Jasna und Pera mit dem Hochzeitsbild der Kosturs, die 1964 den Bund des Lebens geschlossen haben. HRJ

Das Einleben sei ihr schwergefallen. Der Grund: „Es gab Menschen, die uns schlecht behandelten und uns verächtlich Tschuschen schimpften.“ Pera begegnet aber auch anderen Menschen: „Mit der Zeit habe ich gute Freundinnen gefunden.“ Wie das Mimele, „eine Pensionistin, die bei uns im Haus in Kennelbach gewohnt hat. Sie brachte mir Deutsch bei und schaute auf unsere Kinder“, erzählt Pera, deren Familie inzwischen mit der Geburt der Töchter Gordana (1969) und Jasna (1974) auf fünf Personen angewachsen ist. Jasna, gerade zu Besuch bei ihrer Mutter, erinnert sich gern ans Mimele: „Sie war eine Oma für uns. Wir fühlten uns bei ihr geborgen.“

Das Land, in dem wir geboren und aufgewachsen sind, existierte nicht mehr.

Im Juli 1990 reist die Familie Kostur mit einem Anhänger, beladen mit Einrichtungsgegenständen für ihr fast fertig gebautes Haus, nach Kosture. Es sind ihre letzten Sommerferien in Jugoslawien. Im Juni 1991 beginnt der Krieg und damit der Zerfall des sozialistisch-föderalen Vielvölkerstaates. „Ich war sehr traurig, mitansehen zu müssen, wie unsere Heimat kaputtging“, sagt Pera. „Auch darüber, dass unser Haus in Kosture zerstört wurde. Wir haben es gebaut, um als Pensionisten dort zu leben. Jetzt ist es eine Ruine.“ 

Die Österreicher

Ihre Identität verliert Pera Kostur, als sie 1998, gemeinsam mit ihrem Mann, auf der kroatischen Botschaft in Wien einen kroatischen Pass beantragt. Doch der wird beiden verwehrt. Pera erklärt, warum: „Rade war Serbe und orthodox, ich Kroatin und katholisch. Bei unserer Heirat wurde ich auch orthodox. Somit galt ich als Serbin und bekam keinen kroatischen Pass.“

Beim Sortieren alter Fotos schwelgt Pera Kostur in Erinnerungen. <span class="copyright">HRJ</span>
Beim Sortieren alter Fotos schwelgt Pera Kostur in Erinnerungen. HRJ

Daraufhin stellt das Gastarbeiterehepaar einen Antrag auf die österreichische Staatsbürgerschaft. „Am 18. Dezember 1998“ – dieses Datum vergisst Pera nie – „wurden wir Österreicher. Und am 24. Dezember bekamen wir unsere Pässe. Was für ein schöner Moment!“

1999 reisen Pera und Rade zum ersten Mal nach dem Krieg in ihr Heimatdorf und stellen fest: „Das Land, in dem wir geboren und aufgewachsen sind, existierte nicht mehr. Und uns wurde klar, wo wir einmal beerdigt werden: in Vorarlberg.“

Die Pensionistin schaut sich mit Tochter Jasna Familienfotos aus früheren Zeiten an. <span class="copyright">HRJ</span>
Die Pensionistin schaut sich mit Tochter Jasna Familienfotos aus früheren Zeiten an. HRJ

Rade stirbt am 6. August 2001 an den Folgen einer Krebserkrankung. Er wird in Kennelbach beigesetzt. Die folgenden Jahre durchlebt Pera in tiefer Trauer. Bis sie sich wieder aufrappelt, vergeht viel Zeit. Dabei hilft ihr auch der Umzug in die neue Wohnung in Bregenz.

Auch wenn ein Teil ihrer Seele in Kroatien geblieben ist, wo ihre verstorbenen Eltern und der Bruder begraben sind, kommt eine Rückkehr für sie nicht mehr infrage. „Ich bleibe hier, wo meine Kinder und Enkel leben. Und wo ich seit 57 Jahren zu Hause bin.“