Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Alles ungünstig

Vorarlberg / 07.02.2024 • 08:29 Uhr

Alles ungünstig. Die ganze Gestalt. Busen Magen, Bauch – eine einzige Masse.

Die Beine in einer ausgeleierten Jogginghose. Sie schiebt den Einkaufswagen, ist unsicher auf den Beinen. Im Einkaufswagen viele Süßigkeiten. Nichts Grünes. Keine Orangen. Sie war doch auch einmal ein kleines Mädchen, das springen konnte wie ein Rehlein. Was ist geschehen? Ich darf sie nicht anstarren. Aber der Blick quält mich. Sie war doch auch einmal ein Kind mit Wollfäden in der Hand, die sie zu einem Muster spannte. Was ist geschehen. Hat denn niemand Erbarmen mit dieser Frau? Wo wohnt sie? Hat sie Kinder? Einen Mann. Nein, ich glaube sie hat keinen Mann. Ich denke sie hat ein paar Kinder, die nicht mehr zu Hause wohnen. Einen Nachzügler vielleicht, der unbedingt sein Zimmer aufräumen sollte. Ich frage mich, wer steht dieser Frau bei? Ihre Haare verfilzt. Die Lippen angemalt. Ist das ein gutes Zeichen? Dass sie sich die Lippen anmalt, bevor sie einkaufen geht? Sie war doch auch einmal eine junge Frau, die gern getanzt hat. Wie, wenn ich sie retten könnte? Zu ihr in die Wohnung käme.

Ich habe gar nicht bemerkt, dass die Frau in der Jogginghose bezahlt hat und weggegangen ist.

Natürlich würde sie mich niemals in ihre Wohnung lassen, weil die Tür gar nicht richtig aufgeht. Weil die Tür klemmt. Hinter der Tür so viel Unrat. Kleider liegen herum. Bitte, lass sie in einer aufgeräumten Wohnung leben, die nach Zitronen riecht! Lass sie ein frisch bezogenes Bett haben. Ein geöffnetes Fenster. Weiche Vorhänge aus Batist am Fenster. Lass sie vom Wind bewegen. Lass sie ein halbwüchsiges Kind haben, das ihr frischen Kaffee aufbrüht. Die Wohnung riecht nach Kaffee und und warmen Brot. Ich soll mich nicht einmischen. Ich soll meine Gedanken in eine andere Richtung lenken. In welche? Zu dem jungen Mann, der seiner Freundin gerade ein Stück Schokolade in den Mund schiebt?

Ich habe gar nicht bemerkt, dass die Frau in der Jogginghose bezahlt hat und weggegangen ist. Wie sie den Einkaufswagen zu ihrem Auto geschoben hat. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass sie in ein Auto gestiegen ist, dass sie Autofahren kann. Ist sie mit dem Einkaufswagen vor ihr Haus gefahren, hat ihn bei den Fahrradständern abgestellt, die Waren in Taschen gepackt und sie nacheinander in die Wohnung geschleppt? Ist sie von Nachbarn gegrüßt worden?

Nichts weiß ich. Der Einkaufswagen steht noch eine Woche vor dem Haus. Einmal saß ein Hund darin. Ich sah, wie ein Kind dem Einkaufswagen einen Schubs gab und er auf die Straße zu rollte. Ich müsste ihn auffangen. Was, wenn ein Auto kommt und der Einkaufswagen die Straße blockiert?

Monika Helfer

monika.helfer@vn.at

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.