Das war aber nicht der Marder

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem wir damals das alte Haus im Waldviertel gekauft haben.
Wir kamen mit dem Kaufvertrag vom Notar, sperrten zum ersten Mal das Gartentor auf, gingen zum ersten Mal durch unsere Wiese, stellten zum ersten Mal ein paar alte Stühle unter die Apfelbäume, die Kinder spielten zum ersten Mal Federball. Es war so schön. Und ein paar Tage später kam zum ersten Mal der alte Bauer von nebenan an den Zaun und sagte: Griaß euch, und nur dass ihr es wisst’s, wenn man neben einen Bauernhof zieht, dann muss man damit rechnen, dass Kühe muhen, dass der Traktor rumpelt und dass der Misthaufen stinkt, macht’s kan Stress. Schon gut, ist uns klar!
Das habe ich gelernt: Je weniger ich mich um meine Wiese kümmere, desto mehr Leben ist darin.
Jedenfalls, wie ich jetzt mit dem anderen Nachbarn, der auf einen Kaffee vorbeigeschaut hat, einen Rundgang ums Haus mache und ihm vom Marder im Dach erzähle, kommen wir, zum Glück rechtzeitig, vor einem großen braunen Haufen in der Wiese zu stehen. Das stammt aber nicht von einem Marder, sagt der Nachbar. Nein, sage ich. Das ist ganz klar ein Kuhfladen, da in meinem Garten. Offenbar ist dem Franz, der den Bauernhof von seinem Vater selig übernommen hat, wieder mal ein Kalb ausgekommen. Ich glaube, ich muss mir mal den Zaun anschauen, sage ich.
Apropos Tiere. Was ich sehe, wenn ich zum Fenster hinausschaue, hätte mir früher Schweißausbrüche verursacht: eine fleckige Wiese nach dem Winter, mit braunem Herbstlaub und fauligen Äpfeln, die im Herbst niemand aufgeklaubt hat. Am rechten Rand breitet sich wilder Flieder aus, davor werden auch heuer wieder die Brennnesseln hochschießen. Auf der linken Seite liegt vor dem von den Kälbern in Mitleidenschaft gezogenen Zaun ein immer längerer stacheliger Haag aus altem Baumschnitt und dem Geäst des hohlen Apfelbaums, dem vor ein paar Wochen ein Sturm die Krone geknickt hat.
Die ewige Vorarlbergerin in mir sieht: Arbeit, die dringend erledigt werden sollte. Aber seit ein paar Jahren sehe ich auch etwas anderes: Den Nutzen dieser vermeintlichen Unordnung. Im Fliedergebüsch und im Altholz-Haag zwitschern Hunderte Vögel, hausen Insekten und wuselt anderes Getier. Durch das Laub dringen weiß blühend Schneeglöckchen und Märzenbecher. An den liegengebliebenen Äpfeln labten sich im Winter Schwärme von Amseln, und über den Brennesseln werden bald wieder die Schmetterlinge fröhlich flattern.
Das habe ich gelernt: Je weniger ich mich um meine Wiese kümmere, desto mehr Leben ist darin. Und das sehe ich jetzt, wenn ich zum Fenster hinausschaue. Und dass der stachelige Haag die Nachbar-Kälber viel effizienter abhalten wird, als der löchrige Maschendrahtzaun, das sehe ich auch.
Doris Knecht
doris.knecht@vn.at
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.