Zeitenwende
Der Fünfjährige kommt aus dem Kindergarten: Oleksandr habe erzählt, dass in seiner Heimat alles niedergeschossen werde. Er sei besorgt, meint der Fünfjährige. Das merkt man. Oleksandr, den sie Sascha nennen, ist mit seiner Mutter aus der Ukraine nach Österreich geflüchtet. Und mit ihnen ist auch der russische Angriffskrieg, unter dem sie zu leiden haben, ein Teil des hiesigen Lebens geworden.
Diesem Krieg kann man sich nicht entziehen. Allmählich sickert die Bedeutung der „Zeitenwende“ durch, von der der deutsche Kanzler Olaf Scholz drei Tage nach Beginn gesprochen hat.
Die Augen zu verschließen und sich Illusionen hinzugeben, mag verlockend sein, ist jedoch daneben.
Wladimir Putin hat das Selbstbestimmungsrecht und die territoriale Integrität der Ukraine endgültig einseitig aufgekündigt. Das ist nicht zu rechtfertigen. Die Ukraine stellte keine Bedrohung für ihn dar. Er will sie um jeden Preis seiner Macht unterwerfen. Zehntausende Tote, auch in den eigenen Reihen? Egal.
Die Aufrüstung Russlands, die Militarisierung der Gesellschaft und die Niederschlagung jeder Form von Opposition sind eine Warnung: Hier ist ein Diktator am Werk, den man ernstnehmen muss. Bei dem man nicht davon ausgehen kann, dass er zum Beispiel freundliche Österreicher, die ihre Gasrechnung bezahlen und sich im Übrigen wegducken, respektiert; dass er die Neutralität achtet. Natürlich, man kann und soll trotzdem zu Friedengesprächen aufrufen. Es liegt jedoch am Aggressor, also an Putin, die Waffen schweigen zu lassen. Tun es die Ukrainer, werden sie niedergerannt.
Er nimmt, was er kriegt. Dmitri Medwedew, sein Vorgänger und Vertrauter, hat gerade erklärt, Ziele seien Kiew und Odessa. Wobei: „Wo sollen wir aufhören? Ich weiß es nicht.“ Heute die Ukraine, morgen das Baltikum, dann Polen? Man weiß es nicht. Ängste schüren ist Teil des Krieges.
Es sind fundamentale Fragen geworden, denen sich auch Österreich stellen muss. Die Augen zu verschließen und sich der Illusion hinzugeben, dass man eine Insel der Seligen bilde und sicher sei, mag verlockend sein, ist jedoch daneben.
Gerade auch im Hinblick darauf, dass Donald Trump in einem Jahr US-Präsident sein könnte, ist es wichtiger denn je, einen Beitrag zur europäischen Verteidigungsfähigkeit zu leisten. Hier geht es darum zu verhindern, dass Putin seinen Angriffskrieg über die Ukraine hinaus ausweitet und man selbst eine Schwachstelle ist, die er ausnützen könnte. Hier geht es nicht darum, ihn zu provozieren, sondern darum zu signalisieren, dass man seine Sprache versteht. Dass man abwehrbereit ist und im Falle des Falles nicht zögert, ihn zu stoppen.
Johannes Huber
johannes.huber@vn.at
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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