Reinhard Haller

Kommentar

Reinhard Haller

Radikalisierung der Sprache

Vorarlberg / 13.03.2024 • 14:45 Uhr

Die Sprache als wichtigstes Mittel der menschlichen Verständigung hat enorme Macht. Als „Blut der Seele“ beeinflusst sie unser Wahrnehmen und Denken, unsere Stimmung und Befindlichkeit, ja sogar das Handeln. Dies im positiven wie im negativen Sinne. Wenn heute über Hassreden im Internet, über politisches und mediales Framing – die Beeinflussung des Denkens durch Sprachbilder –und eine allgemeine Radikalisierung der Sprache zu klagen ist, hat dies unweigerlich Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima. Tatsächlich sind Aggressivität der Worte, verbale Hetze in den sozialen Medien und allgemeine Verrohung der Sprache zu einer ernsthaften Gefahr für Frieden und Demokratie geworden. Deshalb lohnt sich ein Blick auf die psychologischen Hintergründe der Radikalsprache.

Vereinfacht gesagt, gilt Radikalisierung jeglicher Art als etwas Unreifes, Undifferenziertes, Hilfloses, ja Primitives.

Vereinfacht gesagt, gilt Radikalisierung jeglicher Art als etwas Unreifes, Undifferenziertes, Hilfloses, ja Primitives. Auf die Wurzel – die Radix – zurückgehende Verhaltensweisen deuten auf Störungen während frühester menschlicher Entwicklungsstufen hin. Hinter einem radikale Parolen brüllenden Redner sollten wir deshalb nicht nur einen Populisten oder Fanatiker sehen, sondern auch ein schreiende Kind. Und die auf Radikalsprache zurückgreifende Persönlichkeit gilt in der psychologischen Forschung nicht als grandios, vielmehr als unsicher, zweiflerisch, komplexbeladen, starr und narzisstisch.

Das sich in der Radikalsprache manifestierende Denken ist unreif und zeugt von wenig Differenziertheit. Unser Welt ist viel zu vielfältig, um sie in reine schwarz – weiß – Kategorien zu pressen und das Leben stellt viel zu komplexe Fragen, als dass sie mit ja oder nein beantwortet werden können. Radikale Worte, die als einfache Botschaften besonders verunsicherten Menschen ein Gefühl der Sicherheit geben, entwerten zudem die als wenig autonom betrachteten Adressaten.

„Alle Sprache ist Bezeichnung der Gedanken“, hat der Philosoph Immanuel Kant gesagt. Wenn die Sprache radikalisiert wird, radikalisieren sich auch die Gedanken, sowohl jene der Sprechenden als auch die der Angesprochenen. Gerade in Wahlkampfzeiten muss deshalb bewusst sein, dass sich mit Sprache nicht nur Handelsszenarien entwerfen lassen, sondern dass Worte auch Waffen sind, ja sogar töten können. Die Sprache als eine der höchsten menschlichen Errungenschaften ist jedenfalls zu wertvoll, um sie durch Radikalisierung zu primitivisieren. Für das menschliche Miteinander ist sie zu wichtig, um sie den Radikalen zu überlassen.

Reinhard Haller

reinhard.haller@vn.at

Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.