Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Die Schuld der anderen

Vorarlberg / 25.03.2024 • 13:00 Uhr

Momente kollektiver Betroffenheit und ein gemeinsames Innehalten sind in der beschleunigten Welt nur mehr selten. Vergangene Woche gab es rund um das Video, in dem Prinzessin Kate ihre Krebserkrankung öffentlich machte, so einen Moment, den viele miteinander geteilt haben. Catherine, Fürstin von Wales und Ehefrau des britischen Thronfolgers William, erzählte dabei offen von ihrer Krankheit, seit Jänner war sie nicht mehr aufgetreten. Und egal, ob man sich davor bei Spekulationen über die von der Bildfläche verschwundene Vorzeigefrau der britischen Monarchie dezent verhalten oder ob man sich an Verschwörungserzählungen und halblustigen Witzen über deren Verbleib beteiligt hatte – seitdem wird die Prinzessin mit Sympathiebekundungen überschüttet. Kate, du wirst unserer Liebe nicht entkommen.

Am Beispiel von Prinzessin Kate erkennt man, wie schwer sich Öffentlichkeit und Medienbranche mit Fehlerkultur tun.

Wer darf sich glaubwürdig mitfühlend zu der Prinzessin äußern? Auch jene Menschen und Medien, die sich zuvor an Geschichten über mutmaßliche Schönheits-OPs oder Scheidungsgerüchte beteiligt haben? Wer ist schuld an dem öffentlichen Theater der vergangenen Monate, wer hat welche Fehler gemacht? Am Beispiel von Prinzessin Kate erkennt man, wie schwer sich Öffentlichkeit und Medienbranche mit Fehlerkultur tun: Schuld sind immer die anderen. Dabei wäre hier Differenzierung notwendig.

Glamour und Tratsch

Natürlich sind menschenverachtende Äußerungen über prominente Personen nicht zu tolerieren, doch nicht jeder harmlose Witz stellt ein moralisches Problem dar. Denn grundsätzlich sind Glamour, Tratsch und das Bedienen der Boulevardpresse Teil des Geschäftsmodells der Windsors; falls sich also eine der wichtigsten Protagonistinnen zurückzieht, ist leider nicht mit Zurückhaltung der anderen in diesem Spiel zu rechnen. Und zudem machen es sich klassische Medien nun sehr einfach, wenn sie die Social-Media-Plattformen als Hauptschuldige für die Gerüchte-Eskalation benennen. Denn auch in diesem Fall haben sich die meisten herkömmlichen Medien von Social Media antreiben lassen, seriöse Medienmenschen übernahmen Boulevardgeschichten, alle haben damit um die Aufmerksamkeit des Publikums gebuhlt.

Wenn man sich von Social Media mitreißen lässt, besteht die Gefahr, die wesentlichen Aufgaben seriöser Medien zu wenig zu beachten: Herstellen von Öffentlichkeit, Einordnung, qualitätsvolle Information, Kontrolle der Mächtigen. Dazu muss man sich von den Plattformen abgrenzen, natürlich ohne sich der Informationsflut entziehen zu können. In dieser Gemengelage können Fehler passieren. Diese aufrichtig zu analysieren und sie nicht anderen umzuhängen, zum Beispiel den bösen Plattformen, kann ein erster Schritt zu einer echten Fehlerkultur sein.

Julia Ortner

julia.ortner@vn.at

Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.