Saharastaub und Träume
Von unserer Terrasse in Syrakus schauen wir genau nach Osten aufs Meer. Die Sonne schimmert matt durch den Saharastaub. Eine trübe Aussicht an geschichtsträchtigem Ort. Die alte Judengasse der Stadt beherbergte einst eine stolze Gemeinde, zu byzantinischen Zeiten eine der größten der Welt. Nichts ist davon übrig, außer eine imposante Mikwe im Keller eines Hotels, ein Laden mit Judaica, in dem wir noch keine Kunden gesehen haben, eine Informationstafel, eine Kirche unter der sich die Grundmauern einer Synagoge befinden sollen. Und auf die nun die Via del Crocefisso, die Straße des Kruzifix zu führt. Nichts bleibt, außer schwache Erinnerungen, die nicht die eigenen sind.
Der Himmel über dem Meer schimmert trübe und die Gedanken an das Ufer am anderen Ende des Meeres machen depressiv. Fast sechs Monate ist es her, dass die Hamas die Pandorabüchse aller jüdischen Urängste geöffnet hat – ein Massaker an den Familien in jenen Dörfern, die der sichere Hafen sein sollten, ein für allemal. Nichts ist von dieser Sicherheit geblieben. Und nun führt Israel einen Krieg, den es nicht gewinnen kann. Und deswegen auch nicht weiß, wie er beendet werden soll. Aber wie alles was keinen Sinn hat – nur einen Grund der in Wirklichkeit ein Abgrund ist – muss dieser Krieg, dieses Töten beendet werden. Jeder Tag, den er länger dauert, macht alles nur noch schlimmer. Aber das ist leicht dahingesagt. Solange auf beiden Seiten der Traum regiert, man selbst sei so etwas wie die Urbevölkerung und die anderen im besten Falle geduldete Gäste. Und es immer wieder genug Leute gibt, die beide Seiten in diesem absurden Irrglauben bestärken, im Namen irgendeines Gottes, oder irgendeiner angeblich überlegenen Zivilisation, einer angeblichen Weltrevolution oder eines angeblich antikolonialen Befreiungskampfes.
Der Himmel über dem Meer schimmert trübe und die Gedanken an das Ufer am anderen Ende des Meeres machen depressiv.
Vor ein paar Tagen saß ich mit einem türkischen Freund bei uns im Cafe einer freundlichen Palästinenserin gegenüber, die uns erklärte, dass die Israelis irgendwann einmal nicht mehr da sein werden, und bis dahin gäbe es eben Krieg, solange würden eben Kinder sterben. Das sei schade, meinte sie achselzuckend. Uns wurde kalt. Vielleicht hat sie auf zynische Weise Recht. Umso schlimmer, dachte ich.
Den Palästinensern würde es danach wohl auch nicht besser gehen, der Nahe Osten war gleich ob mit oder ohne jüdische, arabische, muslimische oder christliche Herrschaft niemals ein friedlicher Ort. Er könnte vielleicht einer werden, wenn Palästinenser und Israelis sich nicht mehr gegeneinander aufhetzen lassen.
Vielleicht ist es der Saharastaub, der einen so benommen macht, und träumen lässt.
Hanno Loewy ist Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems.
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