Vielleicht passiert ja noch ein Wunder

Malika und Askhab wünschen sich nur eines: dass ihre Familie nicht auseinandergerissen wird.
BREGENZ „Wir hofften so sehr, zusammen ein Leben in Frieden und ohne Angst führen zu können.“ Doch das soll den in Bregenz lebenden Geflüchteten aus Tschetschenien, Malika Shagireeva und Askhab Nagomerzaev, verwehrt bleiben. Askhab droht die Abschiebung in die Russische Föderation. Malika verliert dann ihren Ehemann, die drei Kinder ihren Vater und Askhab seine ganze Familie.
Wie hält man das aus? „Schwer“, antwortet Malika. Askhab bleibt stumm. Die Verzweiflung ist groß. Darum haben die Beiden entschieden, ihre Geschichte öffentlich zu erzählen. Vielleicht, so hoffen sie, passiert dann noch ein Wunder.
Bomben und Raketen
Malika kommt 1995 in Katar Jurt, einem Dorf nahe Tschetscheniens Hauptstadt Grosny, zur Welt. 1999 beginnt der Zweite Tschetschenienkrieg. Katar Jurt wird ab Februar 2000 Ziel von Bomben- und Raketenangriffen der russischen Armee. Die Bilder und der Lärm von den Panzern auf den Straßen und den Kampfflugzeugen, die über die Häuser hinwegdonnern, haben sich in Malikas Gedächtnis eingebrannt: „Ich hatte Angst. Immer.“
Malika und ihrer Familie – Eltern und drei Geschwister – gelingt es 2004, dem Kriegsgebiet zu entkommen. Die Flucht endet in Niederösterreich. Die Familie kommt bei dort lebenden Angehörigen unter und erhält den Aufenthaltsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention.

2010 ziehen die Shagireevas nach Vorarlberg. Malika, 15 geworden, beginnt nach dem Hauptschulabschluss zu arbeiten, probiert mehrere Jobs aus. Dann lässt sie sich zur
Kindergartenassistentin ausbilden. Seit September letzten Jahres ist sie im Kindergarten Mariahilf in Bregenz beschäftigt.
An einem sonnigen Tag im Mai 2013 begegnet Malika bei einem Spaziergang am See Askhab. „Er sprach mich an. Wir quatschten. Es war Liebe auf den ersten Blick. Für uns beide“, erzählt sie, was er mit einem liebevollen Blick bestätigt.

Askhab, 1990 geboren, wächst mit zwei Brüdern und einer Schwester in Wedeno auf. Das 60 Kilometer südöstlich von Grosny liegende Dorf ist während beider Kriege intensives Kampfgebiet. „Mehrmals detonierten Panzergranaten ganz in meiner Nähe“, schildert Askhab. „Ich hatte viel Glück, ich wurde nie getroffen.“
Der Krieg ist zwar seit 2009 vorbei, aber dessen Folgen, wie massive Probleme mit dem Ramsan-Kadyrov-Regime, zwingen Askhab Anfang 2013 zur Flucht. Über die Ukraine, Polen und Tschechien gelangt er nach Österreich. Nach einem kurzen Aufenthalt im Aufnahmezentrum Traiskirchen, wo er den Antrag auf internationalen Schutz stellt, landet er in Bregenz. Entfernt Verwandte nehmen ihn auf. Im Mai 2013 verliebt er sich in Malika. Im Dezember 2014 heiratet das Paar und zieht zusammen. In den Jahren darauf kommen die Töchter Aisha, Safya und Sarah zur Welt.

2018, kurz vor Safyas Geburt, erhält Askhab den negativen Bescheid vom BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl). Aus Angst vor der Abschiebung flieht er nach Deutschland. Weil er auch dort kein Asyl bekommt, muss er nach Tschetschenien zurückkehren. „Das war furchtbar“, sagt Askhab. Nicht nur wegen der zermürbenden Verhöre in seinem Herkunftsland, sondern mehr noch wegen der Sehnsucht nach seiner Familie: „Meine Tochter Aisha hat mich jeden Tag angerufen und gefragt, warum ich nicht nachhause komme. Sie warf mir vor, dass ich sie nicht mehr mag.“ Das habe er nicht mehr ertragen, deshalb sei er wieder nach Vorarlberg gekommen. Seitdem arbeitet er selbstständig im Gewerbe Güterbeförderung und sucht erneut um einen langfristigen Aufenthaltstitel an.
Anträge abgelehnt
Am 24. April dieses Jahres wird ihm der endgültige Ablehnungsbescheid zugestellt. Auch der Antrag auf Familien- und Privatleben sei abgeschmettert worden, informiert Malika: „Und ich wurde aufgefordert, mit den Kindern nach Tschetschenien zu gehen. Aber ich bin doch hier aufgewachsen und spreche besser Deutsch als meine Muttersprache!“ Auch Askhab spricht sehr gut Deutsch, die Kinder sowieso.

Malika versteht nicht, warum man ihr den Mann und ihren Kindern den Vater wegnehmen will: „Das ist doch unmenschlich! Askhab hat nichts verbrochen.“ Angeblich werfe man ihm seitens der Behörden vor, „radikaler Islamist“ zu sein. „Das bin ich aber nicht“, beteuert er. „Ich lehne jede Form von Radikalisierung ab. Ich weiß nicht, warum man mir das anhängt.“ Malika erklärt, jemand habe das behauptet, „aber wer das ist, erfahren wir nicht“. Sie und ihr Mann wünschen sich nur, „dass wir als ganze Familie hier weiterleben können“. Die einzige Hoffnung, die der Familie jetzt noch bleibt, ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Vielleicht passiert ja noch ein Wunder.