Faszination für scharfes Werkzeug

Vorarlberg / 16.06.2024 • 15:00 Uhr
MENSCHEN VON NEBENAN
In seiner Werkstatt in Götzis gibt sich Jerome Binder seiner Leidenschaft, dem Messermachen, hin. HRJ

MENSCHEN VON NEBENAN. Ihr Alltag, ihre Sorgen, ihre Wünsche: Hauptberuflich Polizist, widmet Jerome Binder seine Freizeit der Kunst des Messermachens.

GÖTZIS Ein kleiner Raum im Keller eines Gebäudes an der Dr.-Alfons-Heinzle-Straße in Götzis. Große Holztische. Metallkästen mit Schubladen. Zahlreiche Geräte und Werkzeuge. Stahl, Holz, Leder und andere Materialien, die man zur Herstellung von Messern und Hüllen benötigt. Dieser Raum ist Jerome Binders Werkstatt, in der er viel, sehr viel Zeit verbringt. Hier verwandelt er rohe Materialien in wahre Meisterwerke. Hier, umgeben von all den besonderen Dingen, erzählt der 45-jährige, was ihn an scharfem Werkzeug fasziniert und wie er auf die Kunst des Messermachens gekommen ist.

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Mit seinem alten Renault Kangoo reist Jerome durch die Welt. Meistens begleitet ihn seine Tochter Geraldine. HRJ

Junger Rockmusiker

Jerome Binder kommt 1979 als Kind von nach Vorarlberg zugewanderten burgenländischer Eltern zur Welt. Er wächst mit einem älteren Bruder und einer jüngeren Schwester in Bartholomähberg auf. Das Gymnasium verlässt er nach der Unterstufe – er möchte Musikinstrumentenbauer werden. „Ich war als Jugendlicher Gitarrist und Sänger in einer Band und wollte meine eigene Gitarre bauen können“, begründet er seinen damaligen Berufswunsch. Er besteht die Aufnahmeprüfung an der Fachschule für Instrumentenbau in Hallstatt, die Ausbildung schmeißt er jedoch schon am dritten Tag hin: „Das war nichts für mich. Für einen Rocker, der lange Haare und ACDC-Shirt trug, war diese Schule nicht die richtige Umgebung.“ Am schlimmsten sei das rigorose Bestrafungssystem bei „Fehlverhalten“ im Internat gewesen.

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Jerome Binder vertritt die Meinung, dass allem Existierenden mehr Wertschätzung gebührt. HRJ

Jerome kehrt heim nach Vorarlberg und beginnt eine Automechaniker-Lehre in der Werkstatt seines Vaters in Dalaas. Kurz nach dem Abschluss der Ausbildung muss sein Vater aus gesundheitlichen Gründen die Firma zusperren. „Da sah ich in einem VN-Inserat, dass die Gendarmerie Personal sucht. 1999 war das“, erinnert er sich. Er absolviert die zweijährige Genarmerieschule und tritt 2001 seine erste Stelle als Gendarm auf dem Posten Feldkirch an. Seit 2009 ist er bei der Landespolizei in Bregenz beschäftigt. (2005 wurde die Gendarmerie in Bundespolizei umbenannt.)

Leidenschaftlicher Handwerker

Messer faszinieren ihn seit seiner Kindheit. Vor acht Jahren beschließt er, zu lernen, wie Schneidewerkzeug hergestellt wird und nimmt an einem Kurs beim Dornbirner Messerschmied Gerhard Wohlgenannt teil. Eine Woche später richtet Jerome in Götzis, wo er auch wohnt, seine eigene Werkstatt ein. Seitdem formt er dort mit der Präzision eines Künstlers und der Hingabe eines Handwerkers exquisite Messer, von denen jedes ein Unikat ist. Wobei er betont: „Ich stelle keine Waffen her, sondern Werkzeuge.“

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Jerome Binder an der Schleifmaschine: Messermachen ist solides Handwerk, aber auch Kunst. HRJ

Besondere Bedeutung haben für Jerome die Geschichten, welche die von ihm verwendeten Materialien erzählen. Die Klingen formt er aus verschiedenen Arten von Stahl, etwa aus Teilen von Kriegsgeräten oder aus einer Porsche-Antriebswelle. Letztere diente für ein Messer, das er für den Künstler Gottfried Bechtold angefertigt hat.

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Jedes von Jerome angefertigte Messer ist ein Unikat. HRJ

Für die Griffe hat Jerome einige ziemlich seltene Werkstoffe zur Verfügung. Ein Mammutrippenstück, zum Beispiel, oder einen Walrosspenisknochen. Da liegt Schlangenholz und Mooreiche, dort ein Rentierhorn aus Norwegen. Aus einer Schublade holt Jerome ein Stück Wüsteneisenholz heraus. „Das ist das härteste Holz, das es gibt. Man findet es in der Wüste von Arizona und New Mexiko“, erklärt er. Und hier das Mammutelfenbein: „Wenn man es in die Hand nimmt, die Augen zumacht und sich vorstellt, das gehörte einmal einem Tier, das vor 10.000 Jahren gelebt hat, dann ist das schon ein spezielles Gefühl.“
Mittlerweile ist aus dem Hobby ein zweites Standbein geworden. Unter dem Firmennamen „Jeronimo Knives“ fertigt Jerome neben Messern samt Lederhüllen auch Grillgeräte, chinesische Essstäbchen und Schneidbretter an. Zudem hält er Kurse ab, in denen er Interessierten die Kunst des Messermachens beibringt.

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Der passionierte Messermacher stellt auch Schneidbretter her, etwa aus einer 200 Jahre alten Holzdiele. HRJ

Liebevoller Vater

Längst werkt Jerome nicht mehr allein in seiner Werkstatt: „Meine elfjährige Tochter Geraldine ist oft bei mir. Sie näht fleißig Messerhüllen.“ Seit vier Jahren Single, verbringt Jerome so viel Zeit wie möglich mit Geraldine. Besonders genießt er die Abenteuerreisen mit ihr: „In den letzten Sommerferien fuhren wir mit meinem alten Renault Kangoo und Dachzelt ans Nordkap.“ Im Jahr zuvor wurde Rumänien bereist. Wohin es heuer geht, weiß er noch nicht: „Vielleicht nach Schottland. Vielleicht nach Schweden. Mal sehen.“ Auf jeden Fall hat er immer seine Gitarre im Gepäck: „Denn Musik ist ein ganz wichtiger Teil in meinem Leben geblieben.“

Meine elfjährige Tochter Geraldine ist oft bei mir. Sie näht fleißig Messerhüllen.

Jerome Binder, Messermacher

Fragt man Jerome nach einem Wunsch, lautet die Antwort: „Natürlich Gesundheit für mich und meine Familie. Aber auch, dass allem Existierenden mehr Wertschätzung entgegengebracht wird. Menschen, Tieren, Pflanzen, Dingen. Allem eben.“