Reinhard Haller

Kommentar

Reinhard Haller

(Ent-)Politisierung des Fußballs

Vorarlberg / 10.07.2024 • 16:25 Uhr

Fußball ist ein unfassbares Phänomen. Wenn man die Bilder der Public Viewings und Fanmärsche, der überschäumenden Stimmung in den Stadien und der überall leidenschaftlich diskutierenden Menschen sieht, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Fußball interessiert mehr als jede andere Sportart, er entzückt die Menschen auf der ganzen Welt, emotionalisiert Alt und Jung gleichermaßen und setzt sich über alle Genderhürden hinweg. Fußballbegeisterung macht keine Unterschiede zwischen sozialem Status, Konfessionen oder politischen Einstellungen. Fußball verbindet die Menschen in einem gemeinsamen Zustand der Freude oder – je nach Spielstand – der Trauer. Das alles geschieht, von den unvermeidlichen Ausnahmen abgesehen, in friedlichem Zusammensein.

„Weshalb gerade der Fußballsport und nicht Handball, Hockey oder seine amerikanische Version die Menschen so anspricht, ist eine andere Frage.“

Fußball ist, zumindest während der großen Länderturniere, von der schönsten Nebensache der Welt durch alle Bevölkerungsschichten hindurch, bis hinein in selbst seriöseste Redaktionen, zu einer Hauptsache geworden. Weshalb gerade der Fußballsport und nicht Handball, Hockey oder seine amerikanische Version die Menschen so anspricht, ist eine andere Frage. Psychologisch gesehen ist Fußball ein kultivierter Krieg, weil er alle emotionalen Bedürfnisse der immer noch kriegsversessenen Menschheit auf relativ zivilisierte Weise erfüllt.

Zu den Schattenseiten des Fußballs gehört neben den Fankrawallen, den an Menschenhandel erinnernden Spielerverkäufen oder der geradezu dekadente Kommerzialisierung der auch bei anderen Sportarten wiederkehrende Versuch politischer Einvernahme. So geschehen etwa bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin durch die Nazis oder durch das ruchlose Doping ganzer Sportlergenerationen in der DDR, um mit deren Siegen die politische Überlegenheit des Systems zu beweisen.

Nach dem Eklat mit dem Wolfsgruß und diversen politischen Statements einiger Stars bei der derzeitigen EM wird nun diskutiert, ob sich Fußballer politisch äußern sollten. Als Psychiater kann ich nur sagen: Um Himmels willen nein! Es ist super, wenn sich Sportler mit all ihren Möglichkeiten für die Menschenrechte einsetzen, wenn sie entschlossen gegen Rassendiskriminierung auftreten und Zeichen gegen soziale Ungerechtigkeiten setzen. Wenn sie aber ihre dem Fußball zu verdankende Prominenz für (partei-)politische Zwecke verwenden, fördern sie genau jene zwischenmenschliche Spaltung, die das Phänomen Fußball sonst auf so wundersam aufhebt. Politisierung des Fußballs heißt, ihm ein Kernstück seiner Faszination zu nehmen.

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