Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Leg den Kopf auf meine Knie

Vorarlberg / 10.07.2024 • 10:30 Uhr

„Leg den Kopf auf meine Knie.“
Sagte sie es zu ihrem Mann oder sagte sie es zu ihrem Kind? Eines wie das andere. Beide hatten es nötig. Beide wollten Trost. Das Kind, weil es seine Kette mit den Glasperlen verloren hatte.

Er trottete nach Hause. Seine Frau knetete einen Hefeteig.“

Der Mann, weil er gekündigt worden war. Begründung: Zu langsam. Zu alt. Man hatte ihm versprochen, er könne nach seiner Pensionierung noch fünf Jahre arbeiten. Das hatte keine Gütigkeit mehr.

Er stand im Büro seines Chefs, der zwanzig Jahre jünger war als er. Von vornherein schon eine Demütigung. Der Mann schaute ihm in die Augen, wahrscheinlich war ihm das bei einer Schulung eingebläut worden – günstig ist es, dem Geschlagenen in die Augen zu schauen, ihm zu zeigen: Ich bin bei dir.
„Sie waren einer unserer besten, ihre Zeichnungen von einer Präzision, aber es hat sich doch einiges geändert.“
„Woran hat sich etwas geändert?“, fragte der Geschlagene.
„Ihr Strich erscheint uns zu zaghaft, alte Schule eben. Ich meine, ich persönlich bin ja ein Freund der alten Schule … Aber Sie wissen ja …“
„Ich weiß gar nichts“, sagte der Geschlagene, „nur soviel weiß ich, dass es bei uns zu Hause jetzt enger wird, unsre Wohnung ist teuer, meine Pension nicht groß genug, wir müssen wohl umziehen.“
„Sehen Sie es als Herausforderung“, sagte der junge Mann. „Ein Umzug in ein anderes Viertel, eine kleinere Wohnung, das kann aufregend sein. Konzentration auf das Wesentliche! Das haben wir doch alle verlernt. Ich kenne im Vorkloster einen Vermieter in einem alten Haus. Ich könnte ihn fragen. Sie sind doch geschickt. Viel müsste gemacht werden, aber für einen Bastler wie sie … Soll ich Kontakt zu ihm aufnehmen?“
Der Geschlagene bedankte sich und ließ sich die Adresse des Hausbesitzers geben.
Als er vor diesem Haus stand, dachte er, sieht nicht schlecht aus. Als er sich dann von dem Hausbesitzer die Wohnung zeigen ließ, einem verwahrlosten Mann, war er entsetzt. Was ihm gezeigt wurde, war eine Art Müllhalde. Alles müsste entsorgt werden, die Räume sympathisch, mit geputzten Scheiben und fröhliche Vorhängen an den Fenstern …
„Nein, danke“, sagte er. „Ich werde mich anderweitig umsehen.“

Er trottete nach Hause. Seine Frau knetete einen Hefeteig. Sofort sah sie, dass es ihrem Mann schlecht ging.
Sie setzte sich auf einen Stuhl und bedeutete ihm, näherzutreten, den Kopf auf ihre Knie zu legen. Mit den eingemehlten Händen strich sie ihm über die Haare.
„Gleich gibt es Buchteln, ich mach noch Vanillesoße dazu. Und weißt du was? Die suchen in der Bäckerei unten eine Aushilfe. Da melde ich mich, und du kannst lesen und manchmal ein bisschen abstauben. Wir haben es immer geschafft.“
Und dann fand sie auch die Kette mit den Glasperlen.

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.