Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Hab ich gefunden – 1

Vorarlberg / 24.07.2024 • 08:55 Uhr

Diese Geschichte erzählte eine Frau und erlaubte mir, sie aufzuschreiben.

Es geschah vor fünfundzwanzig Jahren. Ein kleines Mädchen stand vor meiner Tür, hat nicht geläutet, ist einfach so dagestanden, ratlos das Gesichtchen.
„Möchtest du etwas?“, fragte ich, und als ich sie so anschaute, kam mir das Kind bekannt vor, ich wusste aber nicht, woher ich es kannte.
Sie schaute mich an, hielt mir einen Tausend-Schilling Schein hin: „Gehört er dir? Hab ich vor deinem Haus auf der Straße gefunden.“
„Nein“, sagte ich, „der gehört mir nicht.“ Und weiter sagte ich: „Weißt du, solches Geld haben meistens Männer im Hosensack, sie ziehen dann ihren Schlüssel heraus, und da fliegt gleich das Geld mit.“
„Was soll ich jetzt tun?“, fragte das Mädchen.
Ich überlegte. Was bringt es, wenn wir zu Polizei gehen. Niemandem etwas.
Ich sagte: „Magst das Geld nicht deiner Mama geben? Die freut sich sicher.“
Sie schüttelte heftig den Kopf. Ich bat sie ins Haus.
„Magst einen Kakao?“, fragte ich. „Wir trinken Kakao, und dann überlegen wir, was zu tun ist.“
Zögernd ging sie mir nach.
„Auf keinen Fall geb ich das meiner Mama“, sagte sie. „Sie wird das Geld gleich alles für sich ausgeben, verschiedene Pullover und Getränke kaufen.“
„Für tausend Schilling kann man sich nicht viel verschiedene Pullover kaufen“, sagte ich. „Wo wohnst du?“, frage ich. „Was macht dein Papa? Hast du noch Geschwister?“
Sie nahm einen Schluck aus der Tasse, hatte nun einen kleinen Bart vom Milchschaum.
„Ich wohne allein bei der Mama, meine drei Brüder sind bei meinem Papa, man hat sie der Mama weggenommen, weil sie nicht auf uns alle aufpassen kann.“
„Und warum bist du bei ihr geblieben?“
„Weil sie gesagt hat, wenn man mich auch noch wegnimmt, bringt sie sich um. Einmal im Monat kommt jemand von der Fürsorge und schaut, wie es bei uns aussieht. Ich weiß, die Frau kommt am Freitag, und da putze ich am Donnerstag die ganze Wohnung. Die Frau von der Fürsorge lobt dann meine Mama.“
„Was arbeitet deine Mutter?“, fragte ich.
„Sie kann nicht arbeiten, weil sie krank ist. Wir bekommen Hilfe.“
„Und deinen Papa, wann siehst du den?“
Da wurde sie traurig. „Leider wohnt er in der Steiermark, und ich sehe ihn nie. Meine Brüder gehen mir ab. Sie sind so lustig. Mein Papa hat eine neue Frau, die kenne ich nicht. Einmal hat mir mein ältester Bruder eine Ansichtskarte geschickt. Mit einem Foto vorne drauf von da, wo sie jetzt wohnen. Das ist ein Dorf. Die neue Mama ist sehr nett, hat er geschrieben.“
„Und was sollen wir jetzt mit dem Tausender machen?“, fragte ich.
Sie putzte sich den Mund ab und fragte, ob ich ihr noch einmal Kakao nachschenke.
„Ich hab eine Idee“, sagte ich. „Ich wechsle das Geld in zehn Hundertschilling Scheine und lege sie unter einen Stein, nah an meiner Hauswand, ich zeig dir wo, da ist es trocken und niemand sieht es. Und wenn du Geld brauchst, kannst du dir einen Schein holen.“
„Super!“, sagte sie.
Ich zeigte ihr den Stein, und sie gab mir die Hand.
„Danke, dass du so freundlich bist“, sagte sie.
Sie sprang auf und hüpfte davon.

Wie es weitergeht, erfahren Sie nächsten Mittwoch an derselben Stelle.

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.