Ideologisierung der Wolfsdikussion
In der zur Almzeit wieder intensiv gewordenen Diskussion über den Schutzstatus der Wölfe ist neben den bekannten gegensätzlichen Argumenten eine eigenartige Polarisierung festzustellen. Einerseits die leidtragenden Schafsbauern und Älpler, die in ihrem ohnehin schweren Beruf in permanenter Angst vor Wolfsrissen leben und die Qual der traumatisierten Opfer ohnmächtig ertragen müssen. Auf der andern Seite stehen neben einigen echten Idealisten selbsternannte Tierschützer, deren Schutzbedürfnis bei den Haus- und Nutztieren offensichtlich endet.
„Und wenn die Argumente ausgehen, kann man gegen die wahren Tier- und Menschenschützer immer noch mit dem Allerwelts-Stigma des Populismus auffahren.“
Zwar haben die meisten noch nie von Wölfen verstümmelte Tiere gesehen oder gar mit den Hirten gesprochen, propagieren aber die vielfach wiederlegte Wirksamkeit von Herdenschutzmaßnahmen und verbarrikadieren sich hinter realitätsfremden, aus der Zeit vor der Wiederkehr der Beutegreifer stammenden Gesetzen. Den Klagen der Menschen an der Wolfsfront wird mit Hinweisen auf andere Tiergrausamkeiten begegnet, also mit einer als „Whataboutismus“ bezeichneten Diskussionstechnik, mit der ein Missstand durch den Verweis auf einen anderen verniedlicht werden soll. Das Aufzeigen der von Raubtieren angerichteten Gemetzel wird als Polemisierung abgetan, so als ob die Wahrheit – um es mit Ingeborg Bachmann zu sagen – bei der Qual der Wolfsopfer nicht zumutbar wäre. Vor lauter falsch verstandener Biodivesitätsideologie wird über all das wie über das Ende der glücklichen Alpsommer und den umweltbedrohenden Niedergang der Almwirtschaft einfach hinweggegangen. Und wenn die Argumente ausgehen, kann man gegen die wahren Tier- und Menschenschützer immer noch mit dem Allerwelts-Stigma des Populismus auffahren.
In der Wolfsdiskussion geht es nicht um das Abknallen des Wolfes, sondern um die Frage, ob dessen weltweit riesiges Ausbreitungsgebiet für einen hohen Preis noch um ein paar Prozent in jetzt besiedelte, bewirtschaftete und bewanderte Gebiete ausgedehnt werden soll. Ob die Tötungsfreiheit wichtiger ist als das Leid der Opfer. Ob unsere Solidarität den Schwächsten in dieser Kette gelten soll, also den hilflosen Tieren und Bauern, oder einem sich sprunghaft vermehrenden Raubtier, für das es genügend Lebensraum auf unserem Planeten gäbe. Was echte Tierliebe ist, erfahren wir nicht in den Werbebroschüren des WWF, für den das Märchen des vom Aussterben bedrohten Wolfes eine Cash-Cow ersten Ranges ist, sondern in den Hirtenbildern der verschiedenen heiligen Schriften, etwa im biblischen Gleichnis vom guten Hirten.
Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.
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