Boxer(innen)
Frau Ammann hatte ganz schön mitgelitten, als die italienische Boxerin Angela Carini im olympischen Boxring von Paris weinend zu Boden ging, sie mußte, schwer getroffen nach 45 Sekunden aufgeben, mit blutender Nase und dem Gefühl ein Mann hätte sie abgewatscht. Ähnliches vermuteten auch viele Konkurrenten und Zuschauer. Die erste große Kontroverse der Spiele war perfekt. Ein Jahr zuvor war Imane Khelif, die Siegerin aus Algerien, wegen eines umstrittenen Geschlechtstests von der Box WM ausgeschlossen worden.
Da hatte ich kurz ein Deja vu, denn vor ein paar Jahren durfte ich die Geschichte der Skiweltmeisterin Erika Schinegger, die nicht wissen konnte, dass sie ein Mann war,(zumindest bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr) fürs Kino verfilmen. Der arme Erik hatte 20 Jahre seines Lebens als gemobbte Frau und den Rest bis heute als oft geächteter Mann verbringen müssen. Das waren Jahrzehnte an Verunsicherung, Mobbing, Demütigungen und dann noch sein vergeblicher Kampf endlich auch gegen die Männer fahren zu dürfen. Ein Leben zwischen den Stühlen. Die Leidenswege solcher Menschen sind kaum vorstellbar, ich weiß es aus Eriks Erzählungen – und das alles nur wegen einer Laune der Natur.
„Die Leidenswege solcher Menschen sind kaum vorstellbar, ich weiß es aus Eriks Erzählungen – und das alles nur wegen einer Laune der Natur.“
Auch Frau Khelif ist von einer solchen Laune geschlagen – sie ist offensichtlich intersexuell geboren, also äußerlich eine Frau, hat also weibliche Genitalien,ist aber innerlich mit männlichen Chromosomen und Hormonen ausgestattet. Außen eine Frau, innen ein Mann, wobei der Testosteronspiegel, wie der Gynäkologe Prof. Johannes Huber, seines Zeichens österreichischer “Hormon Papst“ sagt, ein entscheidender Faktor ist, in Bezug auf die Chancengleichheit. Der Normbereich bei Frauen liegt es bei ca 0,5 Nanogramm, bei Männern ist er zehnmal (!) so hoch. Prof. Huber: „Dieser Unterschied im Testosteron Spiegel hat natürlich einen großen Einfluss auf die Muskulatur, die Kreislaufsituation, die Kraft des Herzens, die Sauerstoffversorgung usw. Das kann man durchaus mit verschiedenen Gewichtsklassen vergleichen.“ Also ist eine große Chancenungleichheit gegeben, was Frau Ammann, der Gerechtigkeit sehr am Herzen liegt, zu denken gab, als sie die zerschmetterte Italienerin am Boden sah.
Vielleicht sollte man dieses Problem in Hinkunft mit klipp und klaren medizinischen Parametern und Regularien angehen, um all den irrwitzigen Verschwörungstheorien (von absurden antisemitischen Vorwürfen bis zum Unfug „Khelif sei als Mann geboren, der sein Geschlecht geändert habe“) die natürlich gleich in den sozialen Medien auftauchten, einen Riegel vorzuschieben.
Frau Ammann ist kein ausgewiesener Boxfan, aber Fairness sollte bei Olympia das erste Gebot sein, meinte sie.
Reinhold Bilgeri ist Musiker, Schriftsteller und Filmemacher, er lebt als freischaffender Künstler in Lochau.
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