Reinhold Bilgeri

Kommentar

Reinhold Bilgeri

Der Geist der Lagerstraße

Vorarlberg / 16.10.2024 • 11:11 Uhr

Es gab Zeiten da haben sie auf einander geschossen, die ÖVPler( damals Christlich Soziale) und die Sozialdemokraten. 1934 – im Bürgerkrieg. Sozialdemokraten wurden teils hingerichtet oder ins Gefängnis gesteckt. Die Geburtsstunde des Austrofaschismus. Engelbert Dollfuss sein Begründer – „Die braune Welle können wir nur auffangen, wenn wir das, was die Nazis versprechen und in Deutschland getan haben… selber machen“, verkündete er im März 1933.

„Dem Klima und der Migration sind der Herr Kickl und seine Versprechen übrigens völlig wurscht.“

Eine Aussage,die damalige Demokratiebefürworter auf die Barrikaden treiben mußte. Der Rest ist grausame Geschichte. Die Nazis haben Dollfuss erschossen, Hitler hat Schuschniggs Österreich als Ostmark eingesackt. Am Ende fanden sich die prominenten Vertreter der Christlich Sozialen und der Sozialdemokraten als politische Häftlinge gemeinsam im KZ Dachau wieder, um dort in einem Akt versöhnlicher Solidarität, an den Aufbau eines neuen Österreich zu denken. Den „Geist der Lagerstraße“ nannte man diesen produktiven Moment unserer Geschichte – Frau Ammann meinte er sollte vielleicht in Zeiten wie diesen wieder reaktiviert werden. Faktum ist und bleibt:

Die FPÖ wuchs aus dem Sammelbecken des VDU (also ehemaliger Nationalsozialisten) und es scheint als verklebe der alte Geist, mit neuen Codes verbrämt, noch immer Teile ihrer Ganglien. Ihr Hang zur Autokratie lebt nach wie vor. Die Partei schwamm nach dem Ibiza-Skandal, der ihre Orban-Fantasien eindrücklich bestätigt hatte, auf einer toxischen Welle aus Corona und Klimaleugnern, Impfgegnern und Migrantenphobien wieder nach oben und stellt nun den Führungsanspruch – dabei waren auch diesmal viele ihrer Wähler Protestwähler, die sich echte Antworten versprechen auf künftige Pandemien, Klimawandel oder Migration. Kickls bisherige „Lösungskompetenz“ läßt Folgendes erwarten:

Pandemien mit Entwurmungsmitteln bekämpfen! Die nächsten Klima-Extreme mit dem Hausverstand!! („hats ja immer schon gegeben“), die nächste Migrationswelle mit einer Festung!!! Auch das ist Nonsens. Die Festung wäre nämlich ohne EU Austritt gar nicht möglich und außerdem so teuer, daß sie uns alle ärmer machen würde. Heiße Luft also. Apropos:

Dem Klima und der Migration sind der Herr Kickl und seine Versprechen übrigens völlig wurscht, beide fahren einfach drüber, über ihn und über uns, wenn nicht kluge Köpfe aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik in einem solidarischen Staatenverbund Gegenmaßnahmen setzen und mit aufnahmewilligen Drittstaaten Deals aushandeln. Das geht auch ohne Recht zu brechen oder Menschenrechte auszuhölen.

Das kleine Österreich kann im Alleingang rein gar nichts lösen, außer seine internationale Reputation wiedermal besudeln und der Demokratie ein Bein stellen.
Ganz egal wer die nächste Regierung anführen wird – wir werden es mit Sparpaketen, weiteren Wetterextremen und illegalen Migranten zu tun bekommen, derer nicht Herr Kickl Herr werden wird sondern nur ein kollektiver internationaler Kraftakt.

Reinhold Bilgeri ist Musiker, Schriftsteller und Filmemacher, er lebt als freischaffender Künstler in Lochau.