„Es ist, als hätte er zwei Gesichter“ – Wie Spielsucht eine Familie zerstört

Vorarlberg / 01.12.2024 • 15:00 Uhr
Frau eines Spielsüchtigen berichtet, ACHTUNG: Wir müssen die Frau anonym darstellen!!! Frau eines Spielsüchtigen berichtet, ACHTUNG: Wir müssen die Frau anonym darstellen!!!
„Er hat sogar die Familienbeihilfe verspielt“, erzählt Monika. Ihr Mann fand immer Wege, um an Geld zu kommen. VN/Steurer

Die Spielsucht eines geliebten Menschen reißt nicht nur ihn, sondern die gesamte Familie in einen Strudel aus finanziellen und emotionalen Herausforderungen. Eine junge Mutter erzählt ihre Geschichte – mit dem Wunsch, das Thema aus der Tabuzone zu holen.

Darum geht’s:

  • Spielsucht zerstört Familie und verändert Persönlichkeit des Partners.
  • Österreich: Schätzungsweise bis zu 60.000 spielabhängige Personen.
  • Frau eines Betroffenen will auf das Thema aufmerksam machen und wünscht sich mehr Unterstützungsangebote.

Schwarzach Monika S.* wiegt ihr sieben Monate altes Baby sanft auf dem Arm, während sich ihr älteres Kind in der Spielecke des Wohnzimmers beschäftigt. Auf dem Regal hinter ihr steht ein eingerahmtes Foto aus besseren Tagen: Sie und ihr Mann sehen glücklich und verliebt aus. Die 30-Jährige wirkt im Gespräch mit den VN gefasst, doch in ihren Augen spiegelt sich die Erschöpfung wider. „Früher war er ein liebevoller Ehemann und ein fürsorglicher Vater. Doch die Spielsucht hat ihn verändert und unsere Familie zerstört.“

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Monika S. spricht anonym mit VN-Redakteurin Mirijam Haller über die Spielsucht ihres Mannes. Ihre Erfahrungen zeigen, wie perfide die Sucht sich in den Alltag frisst – und wie dringend gesellschaftliche Aufmerksamkeit und konkrete Hilfsangebote gebraucht werden. VN/Steurer

Ein schleichender Prozess

Begonnen hat es mit unklaren Kontobewegungen, einem plötzlich verkauften Leasingauto und Bargeld, das wie von Geisterhand aus dem Portemonnaie verschwand. Während ihrer zweiten Schwangerschaft bemerkte Monika, dass ihr Mann, mit dem sie seit vier Jahren verheiratet ist, Rechnungen nicht mehr beglich und Überweisungen auf unbekannten Konten landeten. „Ich habe ihn zur Rede gestellt, doch er hat alles abgestritten. Erst als er alles verloren hatte, hat er gestanden, dass er krank ist.“ Spielsucht – ein stiller, zerstörerischer Begleiter, der ihre Familie an den Rand des Abgrunds trieb.

Meist entwickelt sich Glücksspielsucht, in der Fachwelt auch als pathologisches oder zwanghaftes Spielen bezeichnet, schleichend. Sie führt dazu, dass Betroffene unkontrolliert Automatenspiele, Roulette oder Online-Glücksspiele spielen, was nach und nach ihr gesamtes Leben beherrscht.

Die Dimension des Problems ist groß: Fachliche Einschätzungen gehen davon aus, dass allein in Österreich 40.000 bis 60.000 Menschen spielsüchtig sind, bezogen auf Automatenspiele und Glücksspiele im Casino. Bei Online-Glücksspielen schätzt man die Zahl der Betroffenen auf rund 60.000, wobei die Dunkelziffer deutlich höher sein dürfte. Die WHO stuft pathologisches Spielen seit 2018 offiziell als Suchterkrankung ein.

Eine unsichtbare Last

Die Krankheit bestimmte bald das Leben der vierköpfigen Familie. Der geliebte Partner verwandelte sich in einen aggressiven und überforderten Mann. “Es war, als hätte er zwei Gesichter.” Um an Geld zu kommen, wandte er immer perfidere Methoden an. Er verkaufte Gegenstände aus dem Haushalt, stahl Geld aus der Geldtasche seiner Frau. „Er hat sogar die Familienbeihilfe auf sein Konto umgeleitet und verspielt”, erzählt sie. „Es tut weh, zu sehen, wie jemand, den man liebt, so weit geht und dein Vertrauen missbraucht. Man fragt sich: Wo ist der Mensch, den ich geheiratet habe?“

Hoffnung auf Veränderung

Trotz allem wollte Monika nicht aufgeben. Als ihr Mann sich schließlich zu einer Therapie entschloss, schöpfte sie Hoffnung. Doch die Spielsucht ist ein Gegner, der schwer zu besiegen ist. “Insbesondere, weil man durch das Smartphone ständig damit konfrontiert ist. Er hat Rückfälle gehabt, immer wieder. Die Krankheit ist ein Teufelskreis.”

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Mittlerweile hat die 30-Jährige die Scheidung eingereicht. Was bleibt, sind finanzielle Sorgen und die Hoffnung, ihren beiden kleinen Kindern eine sichere Zukunft bieten zu können.VN/steurer

Für Monika ist die Spielsucht ihres Mannes nicht nur eine persönliche Tragödie, die sie mit finanziellen Sorgen zurücklässt, sondern auch ein gesellschaftliches Problem. „Spielsucht ist ein Tabu, obwohl es viele betrifft. Es braucht mehr Aufmerksamkeit für das Thema – nur so kann sich etwas ändern.“ Lange Wartezeiten bei bestehenden Unterstützungsangeboten erschweren die Situation für die Betroffenen. Monika wünscht sich mehr Präventionsarbeit und schnelle, unkomplizierte Hilfe: „Eine Hotline, die im Notfall erreichbar ist und bei der sofort geholfen wird, wäre ein Anfang.“

Eine Zukunft für die Kinder

Die junge Mutter hat inzwischen die Scheidung eingereicht. Ihr Mann akzeptiert die Entscheidung, will sich dennoch für die Kinder rehabilitieren. Doch für Monika bleibt die Belastung. „Es hätte alles so schön sein können. Doch ich will, dass meine Kinder eine sichere Zukunft haben.“

*Name von der Redaktion geändert.

Anlautstellen in Vorarlberg

Die Beratungsstellen Clean bieten professionelle Unterstützung für Menschen mit Drogenproblemen, substanzungebundenen Süchten wie Spielsucht oder Essstörungen. Auch Angehörige und Bezugspersonen können Beratung und Betreuung in Anspruch nehmen.
Beratungsstelle CLEAN BREGENZ
Montfortstrasse 3 / 3. OG, 6900 Bregenz
T 05574 45400
clean.bregenz@mariaebene.at
Barrierefreiheit gegeben

Beratungsstelle CLEAN FELDKIRCH
Schießstätte 12 – Top 8, 6800 Feldkirch
T 05522 38072
clean.feldkirch@mariaebene.at
Barrierefreiheit nicht gegeben

Beratungsstelle CLEAN BLUDENZ
Kasernplatz 5, 6700 Bludenz
T 05552 65040
clean.bludenz@mariaebene.at
Barrierefreiheit gegeben

Krankenhaus Maria Ebene:
Therapie von Alkohol- und Medikamenten- und Nikotinabhängigkeit, aber auch von Verhaltenssüchten, speziell des pathologischen Glücksspiels und der Internetsucht:
www.mariaebene.at/krankenhaus-maria-ebene/beitraege/gluecksspielsucht

Informationen für Angehörige von Spielsüchtigen: www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/angehoerige-psychische-erkrankungen.html