Schön ist, was man liebt
Schön ist, was man liebt, dachte sich der Mann, als seine Frau ihm die Tür öffnete. Karamellisierter Zwiebelgeruch in ihrem Haar. Sie putzte die Hände an ihrer Schürze ab und küsste ihn auf die Stirn, dabei schlüpfte sie aus ihren Schlapfen und stand mit nackten Füßen auf den Zehen.
Sie war nicht schön, war sie einmal schön gewesen? Er versuchte sich an sie zu erinnern. Auf dem Hochzeitsbild an der Wand im Salon sahen sie beide in die Kamera und wirkten nicht echt. Sie hatten sich geliebt. Vergeht Liebe mit den Jahren?
Aber wenn sie einmal, was selten vorkam, miteinander ein Theater besuchten, war ihre Frisur frisch vom Frisör, die Spitzenbluse mit schwerem Parfum betupft. Er schaute in den Spiegel und fand sich verbraucht. Wenn sie mich liebt, findet sie mich schön. Das war die Rettung. Die Zwillinge kämpften im Flur um ein Comicheft, dabei waren sie laut und weckten das Baby. Sie waren in der Pubertät und hatten schlechte Haut. Jeden Abend vollzog die Mutter eine Prozedur. Stillhalten. Schwefelseife, Ziehsalbe kurz einziehen lassen, dann mit heißem abgekochtem Wasser Gesicht und Rücken stramm abreiben. Die Zwillinge hielten still. Sie wollten den Mädchen gefallen.
Außer Zweifel war nur das Baby schön. Auch ohne es zu lieben, wäre es schön gewesen, das niedliche Mädchen zum Herzeigen.
Es gab Würste und Sauerkraut, dazu Salzkartoffeln. Das Baby saß auf des Vaters Schoß, dann, als es weinte, auf dem Schoß der Mutter. Sie zerdrückte Kartoffeln und schob sie in den kleinen Mund. Die Zwillinge aßen je drei Würste mit viel Senf. Der Vater fand das Sauerkraut etwas übersalzen, sagte aber nichts. Nach dem Essen standen „die Herren“ auf – so nannte die Mutter Vater und Zwillinge. Der Vater setzte sich in den Ohrensessel im Salon und sah die Post durch. Weihnachtsgrüße von Firmen, bei denen gekauft worden war, die Ölrechnung, teurer als letztes Jahr.
„Verschicken wir Weihnachtskarten?“, rief der Vater in die Küche.
„Ich wüsste nicht wem“, gab seine Frau zurück.
Es schellte an der Tür, und ein Paket wurde abgegeben. Ein großes schweres Paket. Die ganze Familie schaute es an. Unter dem Absender stand: „Bitte erst zu Weihnachten öffnen!“
„Das machen wir doch gleich“, sagten die Zwillinge und schauten den Vater an. „Es steht ja oben: An Familie … Da sind auch wir gemeint, also jeder von uns darf das Paket öffnen.“
„Von wem das wohl ist?“, fragte der Vater.
„Von wem wohl“, sagte die Mutter.
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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