Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Fritz ist weg

Vorarlberg / 12.02.2025 • 08:50 Uhr

„Fritz ist weg“, sagte die Frau zu ihrer Schwester. „Ohne Ankündigung, einfach weg. Aus seinem Kleiderschrank fehlt nichts, er hat ja sowieso immer denselben blauen Anzug getragen, alles andere war ihm zu eng, weil er stark zugenommen hatte. Alle seine Schuhe stehen auf dem Regal. Die Schreibtischschublade ist wie immer abgesperrt, den Schüssel steckt er ein, misstrauisch wie er war, du kennst ihn ja.“

„Du sagst WAR“, sagte die Schwester. „Denkst du, er könnte sich etwas angetan haben?“

„Doch nicht Fritz! Niemals! Dazu liebt er sich selbst viel zu sehr.“

„Bist du traurig?“, fragte die Schwester.

„Unruhig bin ich, weil ich nichts weiß. Traurig war ich lang nicht mehr, dazu braucht es Zartheit, die er mir genommen hat.“

„Zart“, sagte die  Schwester „warst du auch nie. Sonst hättest du Fritz nicht genommen, diesen Grobian.“

„Sei nicht gemein!“, sagte die Frau. „Jetzt, wo ich nicht mehr ein noch aus weiß.“

„Was wird mit eurem Geschäft?“, fragte die Schwester.

„Du meinst mit seinem Geschäft. Ich bin nur für den Verkauf zuständig.“

Es war ein Jagdgeschäft, keine Schusswaffe fehlte, sie hatte nachgezählt. Sein Jagdgewehr stand im Schlafzimmer.

Sie hatte ihren Mann gleich als vermisst gemeldet. Um sich zu beruhigen, nahm sie eine Glock, zerlegte sie und baute sie wieder zusammen. Mit ihrer Geschwindigkeit beeindruckte sie jeden. Dreimal tat sie das, immer mit derselben Waffe. Es beruhigte sie diesmal nicht. Sie hätte es nie zugegeben, aber sie liebte Waffen, die Macht der Waffen. Sie traf beinahe immer ins Schwarze.

Ihr Mann war aus Eisen. Sie erinnerte sich, dass er einmal bei einer Reparatur an einem Stutzen sich die Hand verletzt hatte, das Werkzeug war ausgerutscht und hatte seine Handballen durchbohrt. Blut floss. Er rief nach seiner Frau, befahl ihr, eine desinfizierte Nadel und einen reißfesten Faden zu bringen. Er nähte, sie drückte mit einem Lappen auf die Verletzung. Ohne das Gesicht zu verzeihen, nähte er die Wunde zu. Ständig musste sie den Verband erneuern, weil er sich mit Blut vollgesogen hatte.

Ja und jetzt war er weg. Sie spürte nichts. Klarheit brauchte sie. Sie ging ins Büro, und die Sekretärin war auch weg, krank gemeldet. Ihre Vermutung bestätigte sich, auch sie war verschwunden. Klarer Fall von Betrug. Sein Auto stand in der Garage. Er hatte sich ein neues gekauft, wahrscheinlich das Sportcoupe Mercedes mit offenem Dach, dass er schon lang im Auge hatte. Auch diesmal hatte sie recht.

Der Sekretärin würden die gefärbten Haare ins Gesicht wehen. Der Gedanke machte sie rasend.

Man hat nie mehr von den beiden gehört.

Die Frau stand vor dem Laden und wartete auf Kundschaft. Es regnete.

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.