Eine mutige Entscheidung

Menschen von nebenan – ihr Alltag, ihre Sorgen, ihre Wünsche. Als Pharmazeutin und Heilpraktikerin will Birgit Rüscher zwei scheinbar gegensätzliche Welten vereinen.
HÖRBRANZ In der Welt der Labore und Arzneistoffe fühlt sich Birgit Rüscher zuhause. Die engagierte Pharmazeutin suchte trotzdem nach einem Ansatz, der nicht nur Symptome behandelt, sondern den Menschen als Ganzes sieht. So wagte sie den Schritt: Sie ließ sich zur Heilpraktikerin ausbilden. Ein Weg mit neuen Erkenntnissen, aber auch mit Widerständen, begann. Wie die 56-Jährige diesen Weg gemeistert hat, erzählt sie an einem verregneten Nachmittag in ihrer Wohnung in Hörbranz.

„Ärztin wollte ich als Kind werden. Alles was mit Medizin zu tun hat, fasziniert mich schon immer“, sagt Birgit, während sie Ingwertee zubereitet. Am 28. Jänner 1969 zur Welt gekommen, ist sie in Hirschegg in Kleinwalsertal mit vier Schwestern aufgewachsen. Ihr Bruder starb vor ihrer Geburt im Alter von zwei Jahren.
„In die Schweiz ging ich, weil in Österreich der Heilpraktikerberuf nicht anerkannt ist.“
Birgit Rüscher, Pharmazeutin, Heilpraktikerin
Nach dem Sportgymnasium-Abitur entschied sie sich, in Innsbruck doch nicht Medizin, sondern Pharmazie zu studieren. „Mir gefiel, dass in diesem Studium meine Interessensgebiete Medizin, Biologie und Mathematik vereint waren.“ 1995 erhielt sie den Magistra-Titel.
Ihre erste Stelle bekam sie in der Hofsteig-Apotheke in Wolfurt. „Der Chef, Rainer Wolf, brachte mir die Homöopathie näher. Das ganze Spektrum“, erinnert sich Birgit. Erste Erfahrungen mit der Naturheilkunde hatte sie bereits in der Studienzeit während ihrer Ferialpraktika in der Walsertal Apotheke in Riezlern gesammelt. Der Inhaber Franz Felder wirkte an der Forschung der Pflanzenheilkunde mit. Nach den Jahren in Wolfurt leitete Birgit mehrere Apotheken in Vorarlberg.
Gleicher Tag, gleiche Todesstunde
Zwischenzeitlich wurde sie Mutter von zwei Kindern. David kam 2005 an, Lukas 2007. Die Beziehung mit deren Vater endete 2014 – im Jahr, in dem ihre Mutter starb. Der Vater verschied vier Jahre zuvor. Mit dem Tod des Vaters hatte es etwas Eigenartiges auf sich: „Er starb an einem 4. März, am gleichen Tag und zur gleichen Todesstunde wie mein Bruder, nur etliche Jahre später.“ Ein Zufall? Die Pharmazeutin glaubt nicht an Zufälle.

Den Alltag als Alleinerzieherin hat Birgit trotz der herausfordernden Bedingungen gemeistert. Einfach war das nicht. Zum Beispiel kamen für sie wegen der Kinderbetreuung nur Teilzeitstellen infrage. „Mit Unterstützung von Freundinnen und Nachbarn ist es gegangen. Irgendwie halt.“ Nun sind beide Söhne volljährig, „und ich kann jetzt Vollzeit arbeiten“.

Auch wenn sie als Apothekenleiterin eine erfüllende Aufgabe hatte, fühlte sie sich zunehmend zur Naturheilkunde hingezogen. 2013 entschied sie sich für die dreijährige Ausbildung an der Heilpraktikerschule in Lindau. Die Prüfungen legte sie in Deutschland sowie in der Schweiz ab. „In die Schweiz ging ich, weil in Österreich der Heilpraktikerberuf nicht anerkannt ist.“ Mehrere Jahre arbeitete Birgit in der Praxis von Ojuna Altangerel-Wodnar in Walzenhausen. Die Zusammenarbeit mit der mongolischen Ärztin und Schamanin „hat mich stark geprägt“.
In Walzenhausen ist Birgit weiterhin tätig – in einer Gemeinschaftspraxis, deren Räumlichkeiten sie sich mit zwei anderen Frauen teilt. Spezialisiert auf Orthomolekulare Medizin, Homöopathie, Pflanzenheilkunde und Eigenbluttherapie, ist Letztere ihr bevorzugtes Heilverfahren: „Mit dem eigenen Blut wird das Immunsystem gestärkt.“ Birgits Behandlungskonzept umfasst Entgiftung, Aufbau, Heilung.

Wichtige Erfahrung
Es bedarf einer gehörigen Portion Mut, als Pharmazeutin Heilpraktikerin zu werden. Diesen Mut führt sie auf ein Erlebnis im Jahr 1999 zurück. „Damals reiste ich in einer Gruppe nach Thailand. Doch dann seilte mich ab und trampte allein eine Woche lang durch eine Region im Süden des Landes. Das war eine wichtige Erfahrung für mich.“
Die Frage nach einem Wunsch beantwortet Birgit Rüscher so: „Dass die Menschen friedvoll und ohne Neid miteinander umgehen. Klingt das abgedroschen?“