Public Health-Experte Armin Fidler (66) und Corona im Rückblick: “Ein paar Lektionen gelernt”

Vorarlberg / 28.02.2025 • 16:00 Uhr
Public Health-Experte Armin Fidler (66) und Corona im Rückblick: "Ein paar Lektionen gelernt"
Bereits im Februar 2020 warnte Public-Health-Experte Armin Fidler in den VN vor den möglichen Folgen der aufkommenden Pandemie. Fünf Jahre später zieht er Bilanz. VN/Lerch, Archiv

Wie kann Österreich in Zukunft besser auf Pandemien reagieren? Public-Health-Experte Armin Fidler zieht fünf Jahre nach Corona eine Bilanz – und erklärt im VN-Interview, warum Österreich ein neues Infektionsschutzgesetz braucht.

Bregenz Als im Jänner 2020 die ersten Fälle aus China bekannt wurden, wähnten viele die Pandemie weit genug weg. Er nicht. Armin Fidler äußerte schon früh seine Bedenken, wonach Corona vor allem das Gesundheitssystem an seine Grenzen bringen könnte. Er behielt Recht. Als Vertreter des Landes arbeitete er in einer Expertenkommission auf Bundesebene mit und hat, retrospektiv betrachtet, ebenfalls seine Lektionen gelernt.

Wie sieht Ihre Pandemiebilanz aus?

Fidler Pandemien sind sehr unberechenbar, vor allem, wenn es sich um neue Erreger handelt und man nicht weiß, wie sie sich entwickeln. Die Politik muss über Maßnahmen, die Gesundheit der Bevölkerung betreffend, entscheiden, und das ist etwas Schwieriges. Die Regierungen hätten eigentlich zu Beginn eine Beratung gebraucht, welche Berater sie wirklich benötigen.

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Warum das?

Fidler Aus politischer Sicht hatten Virologen das Sagen. Ein Virologe ist normalerweise jemand, der auf Minus 2 beim Elektronenmikroskop sitzt und wissenschaftliche Arbeiten auswertet, bearbeitet, publiziert. Virologen sind nicht in Public Health und multidisziplinären Settings geschult. Ein Virologe wird bei der Frage nach der größtmöglichen Sicherheit immer raten, zuzusperren. Daneben gilt es aber auch noch Ökologie, Soziologie, Bildung usw. zu berücksichtigen.

Was wäre besser gewesen?

Fidler Meiner Meinung nach wäre ein multidisziplinäres Team erforderlich gewesen. Stattdessen gab es diese und jene Kommission, diesen und jenen Experten, und jeder hat etwas Anderes gesagt. Das mag aus der Tunnelvision des Einzelnen richtig gewesen sein, in der Zusammenschau für eine politische Entscheidungsfindung war es aber nicht das Richtige. Hinterher ist man bekanntlich immer gescheiter. Für mich war das eine der Hauptlektionen aus der Pandemie. Die Fachgebiete, auch übergreifende, müssen zusammengefasst, und es muss ein Beratergremium erstellt werden, das wirklich multidisziplinär ist.

Landesrätin Martina Rüscher mit den beiden Experten Dr. Hans Concin (aks Gesundheit, ganz rechts) und Dr. Armin Fidler (MCI Innsbruck, WHO) mit VN-CR Gerold Riedmann (links). VN/Stiplovsek
Rückblick auf den 28. Februar 2020: Landesrätin Martina Rüscher mit den beiden Experten Dr. Hans Concin (aks Gesundheit, 2.v.l.) und Dr. Armin Fidler (MCI Innsbruck, WHO, r.) mit dem damamligen VN-CR Gerold Riedmann (links). VN/Stiplovsek

Sie waren für das Land in der Expertenkommission. Vertane Zeit

Fidler Keineswegs, es gab sehr angeregte Diskussionen, teils bis spät in die Nacht. Aus den Berichten ging allerdings häufig hervor, dass viele Bundesländer-Vertreter unter der Kuratel der Lokalpolitik standen

Sie auch?

Fidler Als ich gefragt wurde, ob ich in die Expertenkommission gehen würde, habe ich geantwortet, sehr gerne, aber ich agiere nach bestem Wissen und Gewissen und lasse mir von der Politik nicht dreinreden. Dieser Deal klappte. Es ist nie versucht worden, mich in irgendeiner Weise zu gängeln oder mir eine Meinung aufzudrängen. Im Vergleich zu meinen Kollegen aus anderen Bundesländern war ich da komplett unabhängig.

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Es gab sehr rasch einen Impfstoff. Hat die Schnelligkeit, mit der er produziert wurde, die Menschen überfordert oder verunsichert

Fidler Man hat natürlich versucht, das gut zu kommunizieren, aber es ist eine äußerst komplexe Angelegenheit. Das Verfahren ist auch nicht neu, sondern schon Jahrzehnte bekannt, nur die Applikation als Impfstoff war neu. Was mich mehr betrübt und immer noch beschäftigt ist, dass mit der Pandemie und den ganzen Schwurbeleien eine unbegründete Wissenschaftsfeindlichkeit Einzug gehalten hat. Die Wissenschaft ist ein Weg. Alles entwickelt sich weiter. Was die Medizin vor 30 Jahren gemacht hat, war auch nicht falsch, aber das Beste, das damals zur Verfügung stand.

Brauchte es die Ankündigung einer Impfpflicht wirklich?

Fidler Es ist ja nicht so, dass man jemanden festhalten und ihm dann die Nadel in den Arm rammen würde. In den USA kommen Kinder in keinen Kindergarten oder in keine Schule, wenn sie nicht vollständig geimpft sind. Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, müssen sie zu Hause betreuen. Diese Impfpflicht würde ich zu 120 Prozent vertreten. Da geht es nicht um das Einzelne, da geht es um die Gesundheit der Bevölkerung. Es gibt ja auch andere Dinge, die für unsere Sicherheit da sind, etwa Geschwindigkeitsbeschränkungen, Gurtenpflicht und ähnliches.

Sind Sie persönlich in den Fokus von Impfgegnern geraten?

Fidler Ich bin angefeindet worden, und jemand hat mein Haus mit Eiern beworfen. Ich habe mich trotzdem nie unsicher gefühlt. Ich weiß aber von anderen, die sich nur noch mit Perücke und Sonnenbrille auf die Straße trauten.

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Schweden wurde oft als positives Beispiel genannt. Zu Recht?

Fidler Die Frage würde ich mit Jein beantworten. Die Schweden haben eine längere und fundierte Public Health-Kultur. Da kamen außer der 100-prozentigen virologischen Sicherheit auch andere Faktoren zum Tragen. In der Schweiz war es, zum Vergleich, weniger die Public Health-Kultur, sondern mehr das ökonomische Abwägen. Bei uns wurden viele Entscheidungen gegen den Hausverstand getroffen, etwa die Schließung der Sporthäfen.

Gilt diese Einschätzung für Schulschließungen auch?

Fidler Die Risikoabwägung ist bei dieser Maßnahme falsch ausgefallen bzw. nicht genügend erfolgt. Man hätte anders reagieren sollen, aber es bestand in dem Moment eine große Unsicherheit. Es war bekannt, dass das Virus Kindern zwar kaum etwas anhaben konnte, sie allerdings häufig Infektionsmotoren sind. Ich mache den Politikern jedoch ungern Vorhaltungen, weil, wie sie auch entschieden hätten, es immer irgendwie falsch gewesen wäre. Die waren nicht zu beneiden.

Wurde die Pandemie gut genug aufgearbeitet?

Fidler Aufarbeitung ist wichtig im Sinne von was haben wir gelernt, um in der Zukunft, schneller und besser agieren zu können. Häufig wird Aufarbeitung jedoch nur als Schuldzuweisung aufgefasst. Das lehne ich ab. Niemand wollte irgendjemandem bewusst schaden, jeder hat, glaube ich, nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Wenn es irgendwo Schuld gab, ist die nicht im gesundheitlichen, sondern eher im viskalen Kontext passiert. So etwas, wie Förderungen nach dem Gießkannenprinzip möchte ich nicht mehr sehen.

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Die Pandemie steht sinnbildlich für psychische Beschwerden bei vielen jungen Menschen

Fidler Im Einzelfall kann die Pandemie ein Auslöser gewesen sein, aber eine generelle Zuschreibung ist auch wissenschaftlich nicht schlüssig.

Kann man sich auf eine Pandemie überhaupt vorbereiten?

Fidler Im Spezifischen eher nicht, aber generelle Dinge sind sehr wohl möglich, vor allem im Gesundheitsbereich. Da sollte mit Schutzkleidung, Masken und Medikamenten vorgesorgt sein. Ebenso können Sicherheitspläne erstellt und Verantwortlichkeiten definiert werden. Was Österreich ebenso dringend braucht, ist ein neues Infektionsgesetz. Das bestehende sollte zwar novelliert werden. Dazu kam es aber bis heute nicht.