Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Kolumne: Verschlossen die Tür

Vorarlberg / 23.04.2025 • 07:50 Uhr

Es geschah an einem Frühlingsmorgen, die Sonne schien, und die Mutter ging mit dem Korb voller Wäsche nach draußen, um sie an die Leine zu hängen. Sie ließ die Haustür offen, ein Windstoß, und die Tür fiel ins Schloss. Das bemerkte die Mutter erst, als sie wieder zurückkam. Sie war fassungslos, als sie die Tür verschlossen fand, was eine Katastrophe war, ihr dreijähriges Mädchen war allein im Haus. Alle Fenster zu. Die Kellertür abgesperrt. Sie hatte kein Handy bei sich.

Sie bückte sich und rief durch den Türschlitz: „Ich bin’s, die Mama! Hörst du mich, Ada?“

Alle Kosenamen rief sie und immer wieder: „Komm zur Tür, ich bin‘s, die Mama. Lieber Schatz, Maus, Mäuschen, Ada!“

Kein Laut.

Die Kleine war noch im Bett gelegen. Sie hatte ihr nicht gesagt, dass sie zum Wäscheaufhängen gehen wollte. Warum auch. Schlief das Kind noch?

Die Mutter lief zu den Nachbarn, die waren nicht zu Hause. Sollte sie in den Laden gehen, mit dem Rad fahren, da war der hilfsbereite Mann?

Da hörte sie lautes Weinen. „Mama, Mama!“

Sie bückte sich wieder zum Briefschlitz.

„Komm ganz nahe an die Tür, mein Liebling. Hör zu. Ich fahre jetzt in den Laden und bin gleich zurück. Kannst du versuchen, die Tür zu öffnen? Einfach aufmachen.“

Die Kleine war zu klein, um die Türschnalle zu erreichen. Sie kannte sich nicht aus. Sie verstand die Mutter nicht, sie weinte nur. „Mama, Mama.“

Die Mutter überlegte: Würde sie sich beeilen, eine halbe Stunde, bis sie wieder zurück war. Dann müsste sie auf den Schlüsseldienst warten. Wieder eine Stunde, also eineinhalb Stunden würde das Kind allein sei. Zu lang.

„Hör zu, mein Liebling, Ada, setz dich vor die Tür, ich erzähl dir die Geschichte vom kleinen Bär.“

Im Haus war es still. Sie erzählte durch den Briefschlitz:

„Da war ein Bär, der hatte keine Augen und deshalb konnte er nichts sehen. Er streckte die Arme von sich, um zu greifen, wo er war. Er setzte sich auf den Boden, so wie du, mein Mäuschen. Sitzt du schon auf dem Boden?“

Es war ganz still im Haus.

„Hast du deine Socken an, Ada? Der Bär sitzt wie du auf dem Boden und hat deine blauen Socken an, er wartet, bis die Mama wiederkommt. Sie hängt nämlich gerade die Wäsche auf. Sag etwas, Ada, sag deiner Mama, dass du mich hörst, dass du bei der Tür sitzt.“

Da hörte sie ein leises Geräusch, und es klang, als würden kleine Fäuste an die Tür schlagen.

„So ist es gut, Mäuschen, du bist da, und die Mama ist auch gleich bei dir. Der Bär wartet wie du auf seine Bärenmama.“

 Auf der Straße gingen zwei Männer, die wie Rocker aussahen, mit Lederjacken und schweren Stiefeln. Die Frau rannte auf sie zu und erzählte von ihrem Missgeschick.

„Ganz ruhig!“, sagten sie, beinahe synchron, „das kriegen wir hin!“

Sie gingen zur Tür. Einer holte aus seinem Rucksack eine Flasche Mineralwasser, die schüttete er aus. Dann nahm er sein Taschenmesser und schnitt aus der leeren Flasche ein Plastikteil. Er bog es ein wenig gerade und fuhr damit in den Türspalt. Es gelang ihm nicht. Sein Freund probierte, ihm gelang es. Er öffnete die Tür, es gab einen Plumps und das Kind fiel um. Es weinte nicht. Schaute nur. Es dachte, das gehört zur Bärengeschichte.

„Wir sind Helden“, sagte der eine. Der andere sagte: „Ja, das sind wir.“ Die Mutter sagte: „Ja, das seid ihr.“

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.