Von der Waldeinsamkeit in die Hölle von Berlin

Vorarlberg / 29.04.2025 • 10:05 Uhr
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Bernhard Wittwer war noch einer der wenigen Zeitzeugen des Krieges. Einige Tage nach dem Interview mit den VN verstarb er. VN/KUM

Der Montafoner Bernhard Wittwer (+97) war noch ein halbes Kind als er in den Krieg musste.

Darum geht’s:

  • Gaschurner Bernhard Wittwer erlebte Schreckliches im Zweiten Weltkrieg.
  • Er geriet in russische Kriegsgefangenschaft und entkam.
  • Nach zwei Monaten kehrte er verletzungsbedingt nach Hause zurück.

Gaschurn Bernhard Wittwer hat in seinem 97-jährigen Leben viel erlebt. Die schlimmsten Erfahrungen seines Lebens machte der Gaschurner im Krieg. Bevor der 17-Jährige am 4. Jänner 1945 mit fünf weiteren Gaschurnern nach Rottweil am Neckar einrücken musste, war er Ziegenhirte auf dem Tafamunt. „Von der Waldeinsamkeit ging es in die Hölle von Berlin.“ Beim Abschied weinte seine tief religiöse Mutter bitterlich. „Mama gab mir einen Rosenkranz mit.“

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Zunächst ging es in einem Viehwagon an die polnische Grenze. „Dort erwarteten uns schon die russischen Truppen. Daraufhin haben wir den Rückzug angetreten und sind in Berlin gelandet.“ Dort wurde Bernhard der Flugabwehr zugeteilt. „Unsere Aufgabe war es, feindliche Flugzeuge vom Boden aus zu bekämpfen. Wir waren mit unseren Geschützen im Dauereinsatz.“ Die Stadt wurde von alliierten Luftgeschwadern schwer bombardiert. „Zwei Tage und zwei Nächte ging das Feuer nie aus.“

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Vor dem Krieg hütete der Bub aus Gaschurn Ziegen auf dem Tafamunt.

Am 23. April 1945 wurde der Montafoner durch Granatsplitter verwundet. „Ich erlitt einen Durchschuss am Oberschenkel und einen Steckschuss unter dem Knie. Ich wurde bewusstlos. In einem U-Bahn-Schacht erwachte ich aus meiner Ohnmacht. Ich hatte schreckliche Schmerzen.“ Eine Krankenschwester versorgte ihn und seine drei Kameraden mit hartem Brot, das die Russen weggeworfen hatten. „Sie hat es eingeweicht und uns zum Essen gegeben, damit wir nicht verhungern.“

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Bernhard, der Hütebub.

Nach drei Wochen brachte man Bernhard und seine Kameraden in ein russisches Gefangenenlager mit 30.000 Soldaten in der Umgebung von Berlin. „Als es mir etwas besser ging, kam ich zum Leichenkommando, wo die Verpflegung besser war.“ Bernhards Aufgabe war es, tote Kameraden von den Pritschen herunterzuziehen und sie auf einen offenen Güterwagen aufzuladen. „Die Russen fuhren dann die Verstorbenen aus dem Lager und warfen sie wie Steine in ein Massengrab.“

Dann kam der Befehl: Abmarsch nach Russland in die Gefangenschaft. Die Soldaten wurden wie eine Herde Schafe auf den Bahnhof getrieben. „Ich hielt mich bewusst am Rand der Kolonne auf. In einem günstigen Moment entfloh ich um eine Ecke. Dabei hatte ich viele Schutzengel.“ Bernhards Glück war, dass er wegen der Verwundung keine Soldatenuniform trug und deshalb nicht auffiel. „Mit meinen 17 Jahren war ich ja fast noch ein Kind.“

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Bernhard Wittwer als junger Soldat.

Per Zufall begegnete er in Berlin seinem Nachbarn Christian Lerch. „Gemeinsam versuchten wir heimzukommen, zu Fuß und meistens in der Nacht.“ Die Männer ernährten sich unter anderem von Kartoffelschalen aus dem Müll. Nach einer schwierigen zweimonatigen Flucht durch Deutschland erreichten sie Österreich. „Als ich am Gaschurner Berg ankam, war es schon Nacht geworden. Meine Eltern lagen bereits im Bett. Ich klopfte ans Schlafzimmerfenster. Da hörte ich Mama rufen: „Jetzt ist Bernhard gekommen.“ Seine Eltern waren überglücklich. „Mama hat mich zurück gebetet.“ Den Winter verbrachte Bernhard daheim mit starken Schmerzen im verwundeten Fuß. „Im März 1946 wurde ich ins Lazarett nach Rankweil-Valduna gebracht. Dort hat man mich dreimal operiert. Erst nach sechs Monaten wurde ich entlassen.“   

Bernhard für Martina Kuster
Bernhard Wittwer verstarb am 23. April 2025.

 

Einige Tage nach dem Interview mit den VN verstarb Bernhard Wittwer. Auf Wunsch der Familie wurde die Geschichte publiziert, um an ihn und seine Geschichte zu erinnern.