Kommentar: Das falsche Schuldgefühl

Vorarlberg / 23.09.2025 • 07:24 Uhr
Kommentar: Das falsche Schuldgefühl

Gastkommentar von Helga Boss.

Als arbeitende Mutter stellt sich bei mir fast täglich ein stiller Begleiter ein: das schlechte Gewissen. Bin ich genug für meine Kinder da? Geht es ihnen schlechter, weil ich viel arbeite? Vernachlässige ich sie – oder bin ich gar kein gutes Vorbild? Diese Fragen stellen sich unzählige Frauen, die Beruf und Familie unter einen Hut bringen wollen. Es sind Zweifel, die nagen, obwohl wir längst wissen sollten, dass Erwerbstätigkeit einer Mutter kein Makel ist, sondern Normalität.

Was sagt die Forschung dazu? Kinder von berufstätigen Müttern haben keinen Nachteil – im Gegenteil. Die viel zitierte Harvard-Studie von Kathleen McGinn, Mayra Ruiz Castro und Elizabeth Long Lingo (2015), die Daten von über 50.000 Erwachsenen in 25 Ländern auswertete, belegt: Töchter von arbeitenden Müttern verdienen später mehr, übernehmen häufiger Führungspositionen und wissen von klein auf, dass es normal ist, Job und Familie zu kombinieren. Söhne übernehmen mehr Hausarbeit, kümmern sich stärker um ihre Kinder und entwickeln ein ausgeprägteres Gleichstellungsbewusstsein. Mit anderen Worten: Berufstätigkeit der Mutter bringt Vorteile – für Töchter, für Söhne, für die Gesellschaft.

Wenn das wissenschaftlich so klar ist: Warum erleben Mütter bis heute, dass ihre Karrierepläne als egoistisch oder zweitrangig gelten? Warum gilt Betreuung durch Kindergarten, Schule oder Hort für manche als „Abschieben“ – anstatt als selbstverständlicher Teil einer modernen Gesellschaft?

Die Schuldgefühle vieler Frauen sind hartnäckig. Sie wurzeln in Rollenbildern, die nicht mehr in unsere Zeit passen. Wer genau hinsieht, erkennt: Nicht die Erwerbstätigkeit der Mutter ist das Problem. Sondern die fehlende Unterstützung. Zu wenige Betreuungsplätze, zu kurze Öffnungszeiten, zu starre Arbeitsmodelle – das sind die wahren Stolpersteine.

Ein Miteinander auf Augenhöhe entsteht nicht von selbst. Es entsteht dort, wo Politik die Rahmenbedingungen schafft, damit Eltern – und vor allem Mütter – echte Wahlfreiheit haben. Dort, wo Unternehmen flexible Arbeitszeiten und Teilzeitmodelle anbieten, ohne Karrieren abzuwürgen. Und dort, wo wir als Gemeinschaft aufhören, arbeitende Mütter zu verurteilen – und stattdessen anerkennen, dass sie für ihre Kinder und für uns alle ein starkes Vorbild sind. Vereinbarkeit ist kein Frauen-Privatproblem, sondern eine gemeinsame Aufgabe.

Dafür brauchen wir ausreichend Betreuungsplätze, Öffnungszeiten, die zum Arbeitsalltag passen, und eine Kultur, die Mütter in ihrer Berufstätigkeit bestärkt statt sie auszubremsen. Denn wenn Mütter arbeiten gehen können, ohne schlechtes Gewissen und ohne ständige Hürden, profitieren am Ende nicht nur ihre Kinder – sondern wir alle.

Helga Boss ist selbstständige Unternehmensberaterin, Dozentin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und Mutter von zwei Kindern.