Kommentar: Herbstgedichte
Der Herbst beginnt dieses Jahr so pünktlich, als ob ein Plan dahinter steckt. Uns aus allen Sommerträumen zurückzuholen. In eine Realität, die frösteln macht.
Herbstgedichte fallen einem ein und wecken neue Assoziationen.
„Wo nehm ich wenn es Winter wird die Blumen“ schreibt Hölderlin und endet seinen Nachtgesang auf die „Hälfte des Lebens“ mit „klirrenden Fahnen“. „Wer jetzt kein Haus hat baut sich keines mehr“ lässt uns Rilke wissen. Und Else Lasker-Schüler rät „komm, wir wollen uns näher verbergen. Das Leben liegt in aller Herzen. Wie in Särgen.“
Der Herbst vor uns kann lange dauern, oder auch der Winter, der ihm folgt.
Die Politik der Raubritter lehrt uns nun Härte und Eigennutz, uns einzumauern, alles abzustoßen, was nicht identisch ist. Elon Musk hat es in einem Podcast zusammengefasst: „Die fundamentale Schwäche der westlichen Zivilisation ist die Empathie“. West und Ost gibt es nicht mehr. Nur noch starke Männer.
Musk ist erst einmal in der Versenkung verschwunden. Sein Kumpel Trump hat ihn wissen lassen, dass auch er als illegaler Ausländer abgeschoben werden könnte – hat sich der Südafrikaner Musk doch seinen Aufenthalt in den USA weiland selbst unter falschem Vorwand erschlichen. Die Raubritter sind auch untereinander nicht empathisch.
Israels Finanzminister Bezalel Smotrich hat seinen „business Plan“ für Gaza angedeutet: eine „Immobilien-Goldgrube“. Die bei Neubauprojekten übliche teure Phase des Abrisses sei schon erledigt. Doch hinter solchem zynischen „Optimismus“ lauert längst die Lust am Untergang.
Premier Netanjahu hat vor wenigen Tagen die Zukunft Israels erklärt: Ein „Super-Sparta“ will er aus dem Land machen, das er und seine Kumpels als Geisel genommen haben. Sparta, die griechische Fantasie von Autarkie und hohen Mauern war nicht zuletzt dafür berüchtigt, seine Neugeborenen zu selektieren – und jene zu töten, die nicht fit genug waren, einmal Soldaten zu werden. Am Ende blieben nur noch ein paar hundert „freie Bürger“ übrig und Sparta ging unter, wie so manche andere Fantasie absoluter Macht und trotziger Isolation. Der Felsen Masada, heute ein israelisches Nationalheiligtum, war vor 2000 Jahren die letzte Zuflucht national-religiöser Fanatiker und Schauplatz ihres kollektiven Selbstmords. Ist es das, was Netanjahu im Sinn hat?
Und die Proteste gegen diesen Irrsinn? Sie üben sich selbst in eine Sprache ein, die keine Empathie mehr kennt. Da gibt es nur noch „Zionisten“ und „Siedler-Kolonialisten“. Keine Menschen, die sich in einem sinnlosen Kampf verirrt haben. Die Fahnen klirren, auch die vielen Palästinenserfahnen, in ihrer aggressiven Hilfslosigkeit.
Ich kann gerade gar keine Fahnen mehr sehen. „Komm, wir wollen uns näher verbergen….“ Doch wo?
Hanno Loewy ist Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems.
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