„Der Alkoholiker ist der beste Schauspieler“

Vorarlberg / 26.12.2025 • 17:00 Uhr
„Der Alkoholiker ist der beste Schauspieler“
„Ich habe damals nicht gemerkt, dass ich immer die bin, die am schnellsten das Glas leer hat“, erzählt Frau A.. APA

Jahrelang war der Alkohol ihr ständiger Begleiter, heute versucht sie anderen Betroffenen mit ihren Erfahrungen zu helfen.

Schwarzach „Am Schluss habe ich den Alkohol aus einem 400-Milliliter-Wasserglas getrunken, mit zehn Prozent Mineral und einer Scheibe Zitrone, damit ich meinem Mann sagen konnte, das ist ein Holdersaft“, erzählt Frau A. und schluckt dabei schwer.  Das war vor knapp vier Jahren. Heute ist Frau A. trocken und seit kurzem eine von zwei Sprecherinnen der Region Vorarlberg für die Anonymen Alkoholiker (AA). Im VN-Interview berichtet sie über persönliche Erfahrungen und die größten Hürden. Die Anonymität ist eine der Grundtraditionen des Vereins. Das gilt auch für die Sprecherinnen. „Es geht nicht um mich. Es geht um das große Ganze. Dass wir uns untereinander mit unserer Erfahrung helfen können“, erläutert die neue Sprecherin.  

Was bedeutet der Verein der Anonymen Alkoholiker für Sie persönlich?

Frau A. Für mich bedeutet der Verein heute, mit dem Leben wieder zurechtzukommen, keine Angst mehr vor dem Alltag zu haben, wieder Spaß und Zufriedenheit zu empfinden und wirklich das absolut gute Gewissen zu haben, dass wir alle gleich sind. Es gibt keinen Besseren oder Schlechteren – wir sind alle gleich unten gestanden oder gelegen. Man lernt neue Freunde kennen, zu denen man nicht mit schlechtem Gewissen hingehen muss und sich fragt: Kann ich das jetzt ansprechen? Sondern da weiß ich, da darf ich das sagen, was mich belastet.

Wie hat es bei Ihnen mit dem Alkohol angefangen?

Frau A. Ich hätte es eigentlich besser wissen müssen. Ich bin mit einem alkoholkranken Papa aufgewachsen und hätte wissen müssen, was für ein Elend dahintersteckt. Schlussendlich war es so, dass mein Papa den Kampf gegen den Alkohol verloren hat und sich das Leben genommen hat. Ich habe damals zu meinem Mann gesagt, wenn du einmal Alkoholiker wirst oder mich nur einmal schlägst, dann bin ich weg mit den fünf Kindern. Das hat lange ganz gut funktioniert, weil wir eine Familiengründung hatten, weil wir Freude hatten in unserem Leben, weil es natürlich auch Spaß macht, Alkohol zu konsumieren – das ist Party. Ich habe jahrelang mit dem Alkohol gespielt und damals noch nicht gemerkt, dass ich immer die bin, die am schnellsten das Glas leer hat.

Wann haben Sie erkannt, dass Sie ein ernsthaftes Alkoholproblem haben?

Frau A. Mein Mann hat immer mehr getrunken. Irgendwann habe ich nur mit dem Finger auf ihn gezeigt und gesagt, du bist der Säufer, ich weiß genau, was ein Säufer ist. Da waren Jahre dazwischen, in denen wir miteinander nicht mehr konnten. Die Verzweiflung war dann so groß, dass ich den Weg zu den Al-Anon, den Angehörigengruppen von Alkoholikern, gesucht habe. Mein Mann hat mir mit Scheidung gedroht, ich bin trotzdem hingegangen, habe mich aber nicht wohlgefühlt, weil ich selbst schon das Trinkproblem hatte. Ich war schon so weit drinnen, dass ich nicht gemerkt habe, dass ich nicht mehr ohne kann. Und dann war es einfach so, dass ich gesagt habe: Ich trinke mit, weil dann der Abstand zwischen uns nicht so groß ist. Ich habe nie in der Öffentlichkeit getrunken – außer bei Partys – sonst war ich immer die, die heimgegangen ist und daheim ihre Flasche Wein getrunken hat.

Wie ist es danach weitergegangen?

Frau A. Ich habe meiner Freundin davon erzählt und sie hat gesagt, bist du sicher, dass du noch sicher unterwegs bist. Du schaust immer auf den anderen. Aber schau dich mal an. Ich habe sie gehasst für diesen Satz und zuhause hat mir das Glas nicht mehr geschmeckt, aber ich konnte es nicht stehen lassen. Irgendwann war aber die Stille, die Traurigkeit und die Wut so groß, dass wir beide gesagt haben, wir können nicht mehr; so wollen wir unser Leben nicht mehr weiterführen, und sind dann am 2. November 2021 nach dem letzten Vollrausch zu einem AA-Meeting gegangen. Zunächst wussten wir nicht, was wir eigentlich dort tun sollen. Wir hätten wollen, dass man uns eine Liste gibt und wir genau das machen, was dort steht. Aber irgendwann nach ein paar Wochen, haben wir gecheckt, dass das funktionieren könnte. Wir haben beide vom ersten Meeting an nicht mehr getrunken.

Jetzt sind Sie eine von zwei neugewählten Sprecherinnen der Anonymen Alkoholiker in der Region Vorarlberg. Welche Themen beschäftigen Sie aktuell am meisten?

Frau A. Wir bringen zum Beispiel die AA-Literatur in Büchereien, zeigen uns an Schulen oder informieren in Kliniken. Wir gehen einfach raus und sagen, so ist es uns gegangen. Ein ganz wichtiger Punkt bei den AA ist, dass wir nicht auf Werbung basieren dürfen. Wir versprechen niemandem, komm zu uns und alles ist rosarot, sondern wir sagen, wir basieren auf „Anziehung“. Das heißt, wir zeigen uns in einem gewissen Maße mit dieser Realität, damit jemand anderes sich damit identifizieren kann. Die Frage ist, wie gehe ich mit dem Ganzen um? Wie zeigen wir uns als Gesellschaft, aber nicht als einzelne Person?

Die AA sind Anlaufstelle für Betroffene, die mit dem Trinken aufhören wollen, aber auch für deren Angehörige.  apa/dpa
Die AA sind Anlaufstelle für Betroffene, die mit dem Trinken aufhören wollen, aber auch für deren Angehörige.  APA

Welche Hürden erleben Menschen in Vorarlberg am häufigsten, bevor sie zu einem Meeting kommen?

Frau A. Ich glaube, die größte Hürde ist, dass man sich selbst noch so lange anlügt und man nicht wahrhaben will, dass man mit dem Alkohol nicht mehr kann, sondern er einen bestimmt. Das Allerwichtigste ist, dass man sagt, ich kann so nicht mehr. Das ist pure Verzweiflung. Das Maß, wie weit das gehen muss, ist individuell, aber es braucht die Kapitulation dazu und das ist eine Hürde, denn der Deckmantel der Gesellschaft ist sehr groß. Es gibt viele Schutzfunktionen, wo man es lange nicht merkt. Ich habe ja auch alle angelogen. Der Alkoholiker ist der beste Schauspieler. Bis es offensichtlich ist.

Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft im Umgang mit Alkohol?

Frau A. Alkohol ist die legitimste Droge. Jeder kann ihn kaufen. Du bekommst ihn überall und zu jeder Zeit. Die Zugänglichkeit ist einfach zu leichtfertig. Für Menschen, die damit klarkommen, ist das wunderbar, aber für einen Alkoholiker ist das der Todesschuss. Er geht auch im Pyjama zum Kiosk oder auf die Tankstelle. Ich will es nicht der Gesellschaft rüberschieben. Es braucht immer die eigene Aktivität auch dazu. Aber je leichter ich dazu komme, umso weniger Hürden habe ich. Ich bin im November trocken geworden. Als wir im Frühling das erste Mal nach Lindau gefahren sind, ist mir das vorgekommen wie ein Spießrutenlauf der Alkoholwerbung. Es ist einfach so wahnsinnig präsent. Und ich glaube, der schmerzende Punkt ist, dass man das Gefühl hat, wenn man nicht mehr trinkt, passt man nicht mehr in die Gesellschaft hinein. Ich hatte Ängste deswegen. Ich dachte, ich verliere meinen Freundeskreis, kann auf kein Fest mehr gehen und werde isoliert. Aber ich habe gelernt: Das Leben ohne Alkohol kann genauso schön sein.

In der Adventzeit, an Weihnachten und Silvester ist der Alkohol besonders präsent. Bieten die Anonymen Alkoholiker in dieser Zeit spezielle Unterstützung an?

Frau A. Wir haben auch über die Feiertage Meetings. Es gibt keinen Grund, das Meeting nicht zu halten. Mitunter ist genau da ein verzweifelter Mensch draußen, der nicht weiß wohin. Wir haben auch eine Hotline, die täglich von 19 bis 22 Uhr besetzt.

Nähere Informationen zu den Anonymen Alkoholikern und den Meeting-Terminen unter: www.anonyme-alkoholiker.at/vorarlberg.