Ranghoher Besuch zum zweiten Jahrestag des Ukraine-Krieges

Kiew Führende westliche Regierungschefs haben anlässlich des zweiten Jahrestages der russischen Invasion demonstrativ der Ukraine ihre Unterstützung versichert. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Regierungsspitzen aus Italien, Kanada und Belgien – Giorgia Meloni, Justin Trudeau und Alexander De Croo – reisten gemeinsam nach Kiew. Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj zeigte sich siegessicher.
“Mehr denn je stehen wir fest an der Seite der Ukraine. Finanziell, wirtschaftlich, militärisch und moralisch. Bis das Land endlich frei ist”, betonte von der Leyen auf X (Twitter) am Samstag. Die Delegation besuchte den 20 Kilometer vor Kiew liegenden Flughafen Hostomel, Schauplatz heftiger Kämpfe zu Beginn des Kriegs. “Wir sind heute hier, um diesen Männern und Frauen zu danken, die am 24. Februar vor zwei Jahren nicht weggelaufen sind, sondern gekämpft haben”, sagte Meloni. Der Flughafen sei ein Symbol für den ukrainischen Stolz.
“Jeder normale Mensch will, dass der Krieg endet, aber niemand von uns erlaubt, dass unsere Ukraine endet”, sagte Selenskyj vor dem Hintergrund zerstörter Flugzeuge auf dem Flughafen Hostomel. Daher werde der Krieg nur “zu unseren Bedingungen” und mit einem “gerechten” Frieden enden. Selenskyj sagte, er sei stolz auf die um ihre Unabhängigkeit kämpfenden Ukrainer. In der Zukunft werde das Wort Ukraine immer neben dem Wort “unabhängig” stehen. “Wir haben dafür gekämpft. Schon seit 730 Tagen unseres Lebens. Und wir werden siegen.” Der Militärflugplatz in Hostomel war in den ersten Kriegstagen von russischen Einheiten erobert worden, die später aber wieder von der ukrainischen Armee vertrieben wurden.
Von der Leyen sagte: “Genau vor zwei Jahren schien es, als ob alles verloren ist und innerhalb weniger Tage fällt.” Doch dank des Mutes der Ukrainer sei das nicht geschehen. Die Politikerin zählte das Erreichte innerhalb der vergangenen zwei Jahre auf und hob unter anderem das Freikämpfen der von Russland blockierten Handelswege im Schwarzen Meer hervor. Von der Leyen übergab zudem 50 Fahrzeuge an die ukrainische Nationalpolizei und die Generalstaatsanwaltschaft. Die weißen Geländewagen würden den Behörden dabei helfen, “die Gebiete zu stabilisieren, die die ukrainischen Streitkräfte so mutig von der illegalen russischen Besetzung befreit haben”, sagte von der Leyen laut einer Mitteilung der Kommission am Samstag.
Geplant ist, dass Meloni und Trudeau während ihres Aufenthalts Sicherheits-Abkommen mit Selenskyj unterzeichnen. Ähnliche Verträge haben Frankreich und Deutschland mit der Ukraine abgeschlossenen. Dabei geht es unter anderem um Militärhilfen. Im Laufe des Tages ist außerdem eine Videokonferenz der G7-Staaten geplant. Meloni will als amtierende Vorsitzende der Gruppe der sieben großen demokratischen Industrienationen (G7) die Videokonferenz der G7-Staats- und Regierungschefs leiten. Der Gruppe gehören zudem die USA, Kanada, Großbritannien, Japan, Frankreich und Deutschland an. Im Laufe des Tages ist eine Videokonferenz der G7-Staaten geplant. Auch Selenskyj ist zur G7-Videokonferenz eingeladen.
Die Kämpfe gehen auch nach zwei Jahren unvermindert weiter. Das russische Militär griff die südukrainische Hafenstadt Odessa die zweite Nacht in Folge mit Kampfdrohnen an. Dabei sei unter anderem ein Wohnhaus zerstört wurden, teilte die örtliche Militärverwaltung in der Nacht auf Samstag mit. Mindestens ein Mensch wurde demnach getötet, drei weitere seien verletzt ins Krankenhaus gebracht worden. Möglicherweise seien noch Menschen unter den Trümmern eingeschlossen, hieß es. Die Suchaktion dauerte zunächst noch an. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig prüfen.
In der südrussischen Stadt Lipezk kam es in der Nacht ebenfalls zu Explosionen. Berichten zufolge soll in Russlands größtem Stahlwerk ein Großbrand ausgebrochen sein. Der Gouverneur des Gebiets, Igor Artamonow, berichtete auf seinem Telegram-Kanal zunächst von einem Feuer in einer Werkshalle. Der Brand sei gelöscht worden, es bestehe keine Gefahr, dass gefährliche Stoffe freigesetzt würden. Die Sicherheitsdienste prüften demnach Informationen über einen Drohnenangriff.
Das russische Verteidigungsministerium in Moskau berichtete unterdessen über weitere ukrainische Drohnenangriffe in den Regionen Kursk und Tula. Mehrere unbemannte Flugkörper seien von der Luftabwehr abgefangen und zerstört worden. Auch diese Angaben waren zunächst nicht überprüfbar.
Die ukrainische Flugabwehr hatte zuvor eigenen Angaben zufolge ein weiteres russisches Aufklärungsflugzeug des Typs A-50 abgeschossen, wie Luftwaffenchef Mykola Oleschtschuk am Freitag bei Telegram mitteilte. Nach Medienberichten erfolgte der Abschuss über dem russisch kontrollierten Asowschen Meer, das Flugzeug stürzte über dem südrussischen Gebiet Krasnodar ab. Eine offizielle Bestätigung von russischer Seite gab es nicht. Die Staatsagentur Tass berichtete lediglich von einem Brand in der Region Krasnodar, den ein “herabstürzendes Flugobjekt” verursacht habe. Militärexperten zufolge verfügt Moskau nur über gut ein halbes Dutzend einsatzfähiger Flugzeuge dieses Typs.
Russland, das bereits 2014 die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim völkerrechtswidrig annektiert hat, hatte am 24. Februar 2022 mit einer Vollinvasion gegen das Nachbarland begonnen. Seitdem sind Angaben der Vereinten Nationen zufolge mehr als 10.000 Zivilisten getötet worden, wobei die tatsächlichen Zahlen noch deutlich höher sein dürften. Verletzt worden sind demnach etwa doppelt so viele Menschen. Genaue Verluste unter Militärangehörigen werden geheim gehalten. Schätzungen des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge sind zudem seit Kriegsbeginn rund 6,5 Millionen Menschen aus der Ukraine ins Ausland geflohen. Weitere etwa 3,7 Millionen wurden innerhalb des Landes gewaltsam vertrieben.
Während die Ukraine im ersten Kriegsjahr bemerkenswerte militärische Erfolge zu verzeichnen hatte und einige besetzte Regionen wieder befreien konnte, sieht es momentan aus Kiewer Sicht deutlich schlechter aus. Im Vorjahr blieb eine Gegenoffensive deutlich hinter den Erwartungen zurück, während die westliche Militärhilfe ins Stocken geraten ist. Erst vor einigen Tagen gelang es der russischen Armee, die lange umkämpfte und völlig zerstörte Stadt Awdijiwka in der Ostukraine zu besetzen. Insgesamt befindet sich derzeit knapp ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebietes unter russischer Besatzung. (APA)