Kunst des langsamen Lichts

Sie sieht im Licht, was andere nicht sehen: die potenziellen Qualitäten der Dunkelheit.
WIEN. (VN-elle) Geboren in Bludenz, aufgewachsen in Feldkirch, Studentin in Wien. Die ersten 20 Jahre gleichen jenen vieler junger Vorarlberger(innen). Danach wird alles anders. Siegrun Appelt schmeißt das Studium der Sport- und Ernährungswissenschaften, „weil die Kunst dazwischen kommt.“
Autodidaktisch startet sie als Fotografin. Den Szenemagazinen Wiener/Wienerin liefert sie Portraits, Modebilder, Architekturfotos, Reportagen, Dokumentationen und kann davon leben. Ihre künstlerischen Interessen überleben den Komfort der finanziellen Absicherung. Seit 1991 hinterlässt sie mit Fotoarbeiten eigenwillige Spuren in Ausstellungen und Galerien. Eine Entscheidung steht an: Kunst oder Modefotografie.
Bevor sie sich ihrer Antwort sicher ist, antwortet 1995 die Hypo-Bank mit der Verleihung des 5. Kunstpreises. Siegrun Appelt entscheidet sich für die Kunst. Im gleichen Jahr bringt sie ein Stipendium nach New York, 1996 folgt eines für Rom. Auf Zugfahrten zwischen Rom und Neapel lenkt sie den Fokus auf bewegte Bilder. Ein Novum in der Fotografie. 1998 erhält sie das Staatsstipendium für bildende Kunst und 1999 das für Fotografie. Ihr Metier sind visuelle und nichtvisuelle Medien: Fotografie, Video, Soundinstallationen, Lichtarbeiten. „Das Licht war in meinen Arbeiten immer da, bevor es sich als Licht, das man körperlich spürt, verselbstständigte.“ Heute entfallen 80% ihrer Arbeiten auf Lichtinstallationen.
Am Anfang war . . . Bludenz
Axel Jablonski, Kurator mit Wohnsitz in Liechtenstein, erkennt als Erster das Potenzial ihrer Lichtarbeiten. 2003 realisiert Siegrun Appelt eine permanente Lichtinstallation vor der Galerie allerArt in Bludenz. 2004 demonstriert sie die künstlerisch gestaltete Wirkung von Licht am MUMOK im Wiener Museumsquartier. 2005 verwandelt sie das Kunsthaus Bregenz in eine bewegte Lichtskulptur. Der Energieverbrauch der 144 Scheinwerfer im Ausmaß von 288 kW wird mit einem Verzicht auf Beleuchtung von anderen Gebäuden im Ländle kompensiert.
Mit der konzeptuellen Vernetzung von Licht und Dunkelheit stellt die Künstlerin das Thema „Lichtverschmutzung“ auf ihren Scheffel. „Grelles Licht markiert historische und kulturell bedeutende Gebäude als Orte der Attraktion, die sie ihrem Sinn nach nie waren. Über Städte und Gemeinden werden abends riesige Lichtglocken gestülpt, deren Leuchtkraft stärker als die von Tageslicht ist. Die Lichtüberflutung ist pervertiert.“ Aus der intensiven Auseinandersetzung mit Licht als Quelle und Bedingung der menschlichen Wahrnehmung entwickelt sie „Langsames Licht/Slow Light“.
. . . das Licht wird langsam
Seit etwa zwei Jahren beschäftigt sich Siegrun Appelt mit einer künstlerisch zeitgemäßen Beleuchtung von Kirchen, Wegen und Anlagen, die entsprechend ihrer historischen Entstehung und Funktion weniger Licht und mehr Dunkelheit brauchen. 2012 realisiert sie ein Lichtprojekt für die Donaupromenade in Spitz, die als Installation des „Langsamen Lichts“ funktioniert. Für die Zwischenpräsentation der Internationalen Bauausstellung IBA Basel 2020 arbeitet sie an einer Außeninstallation, die von einer künstlerischen Fotodokumentation begleitet wird. Das innovative St. Galler Spitzenunternehmen Jakob Schlaepfer ist ihr Partner für die Edition von Schals und Foulards, die in den Kunstmuseen St. Gallen und Liechtenstein vorgestellt wurden. Zum Schutz der Fußgänger und Radfahrer sind die Textilien mit reflektierenden Garnen bestickt. Das Projekt entsteht aus der Beobachtung, dass im immer helleren und präziseren Scheinwerferlicht der Autos die Blendung zunimmt und die Dunkelheit dadurch als dunkler wahrgenommen wird, in der Fußgänger wie Radfahrer nicht früh genug zu erkennen sind. „Es ist eine uralte Aufgabe der Kunst, auf Umstände von gesellschaftspolitischer Bedeutung aufmerksam zu machen.“
,Langsames Licht‘ gibt historischen Gebäuden und kulturellen Orten Mythos, Tiefe und Qualität zurück.
Siegrun Appelt
Zur Person
Siegrun Appelt
Hat als bildende Künstlerin ihre Basis in Wien.
Geboren: 5. Dezember 1965
Status: unverheiratet
Wohnort: Wien-Neubau
Beruf: bildende Künstlerin
Lebensmotto: „Wer sich auf die Zehenspitzen stellt, sieht mehr.“