Das Kind wieder finden

Der Schauspieler Aurel Bereuter liest Felder. Das fügt sich: „Eigentlich bin ich ja Bauer.“
Wolfurt. (VN-tm) Eigentlich sei er ja Landwirt, sagt Aurel Bereuter, und seine nackten Zehen zupfen etwas Gras aus der Wiese. Dabei steht er das Jahr über in Münster auf der Bühne und zeigt den Münsteranern, wie sich der antike Jason bei Grillparzer so anfühlt oder der Badearzt Stockmann in Henrik Ibsens „Volksfeind“. Und tut er das nicht, dann doziert er in Ingolstadt oder tritt im Fernsehen auf, lehrt Menschen in Hüttenseminaren gemeinsam mit seiner Frau Annette, sich ihres Körpers und ihrer Rolle im Leben bewusst zu werden. Oder liest Felder. Am 14. August wird Aurel Bereuter sich beim „Stadtlesen Bregenz“ um 19.30 Uhr über Franz Michael Felders Buch „Aus meinem Leben“ beugen und daraus vorlesen. Aber eigentlich ist Aurel Bereuter ja Bauer. Seine Zehen haben das Grasbüschel sorgsam wieder zurückgelegt. Das als Agraringenieur Erlernte wird dann wieder zum Tragen kommen, wenn er im Ried draußen auf elterlichem Grund zugange ist.
Als Pfister auf der Alp
„Drei Sommer war ich z’Alp“, erzählt er. Vom zwölften bis zum 14. Lebensjahr. „Vollgas, mit 50 Kühen.“ Milch, Mist, Schotter für die Sauen – alles hat er da erfahren. Als er später dann nach Wien ging, hätte sein Weg eigentlich an die Universität für Bodenkultur führen sollen. Aber gelandet ist Aurel Bereuter in einer Abendschauspielschule. Ein „naiver Bauernbub mit Mutterwitz“, so sieht er sich in der Rückschau. So stand er wenig später im Max-Reinhardt-Seminar. Von literarischen Vorkenntnissen weitgehend unbelastet. „Ich hatte Mühe, die einzelnen Rollen zuzuordnen.“ Aber sie nahmen ihn doch.
Wenn Bereuter heute auf die Bühne tritt, setzt er um, was er in den Lehrjahren beim israelischen Pantomimen Samy Molcho erlernt hat. „Für jede Rolle suche ich mir ein Tier, einen Rhythmus, eine Körperlichkeit.“ Und nun eben Felder. Den spielt er ja nicht, sondern liest nur seine Texte vor. Schwer genug. Wie der Schoppernauer Schriftsteller und Bauer seine Sprache und das Bregenzerwälder Denken verdichtet hat, das ringt Aurel Bereuter Respekt ab. „Die Beleidigten und Erniedrigten, die zu kurz Gekommenen, die ein Kreuz zu tragen haben“, die findet er alle in Felders Büchern wieder.
Die und die Raffgier, der Bereuter in Vorarlberg heute noch Tag für Tag begegnet. Bereuter bedenkt „diese Schizophrenie zwischen Wissen und Handeln: Man wüsste oft, wie es geht: Warum tut man’s dann nicht?“
Er selbst hat dem kollektiven Zwang zum materiellen Glück entfliehen wollen, verlor die Lust an Äußerlichkeiten und trat eine Reise ins Innere an. Er hat lange mit einer Heilpraktikerin gearbeitet, heute gibt er selbst Seminare. In einer 380 Jahre alten Schwarzenberger Alphütte mit Blick auf den Bodensee. Was man dort lernt? Die eigenen Potenziale ausschöpfen. Mit der Angst vor Machtverlust umgehen, mit Liebesverlust. Spielerisch werden sich ab heute wieder acht Menschen vier Tage lang ihrer oft überschminkten Persönlichkeit stellen: Die Hausfrau, die in der Ernährungsberatung sicherer auftreten möchte, und die Journalistin, die aus Angst, unterbrochen zu werden, immer viel zu schnell spricht. Auch Manager von Audi sind dabei.
Wenn sie sich in kleinen Rollenspielen selber erproben, werden sie hoffentlich ein wenig vom Kind wieder entdecken, das sie alle einmal waren. Gelingt das, waren die Tage ein Erfolg.
Man wüsste oft, wie es geht: Warum tut man‘s dann nicht?
Aurel Bereuter
Zur Person
Aurel Bereuter
arbeitet seit 14 Jahren an deutschen Theatern und wurde mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet.
Geboren: 1973 in Dornbirn
Ausbildung: Landwirtschaftliche Fach- und Mittelschule, Matura, Reinhardt-Seminar
Laufbahn: Engagements am Theater in Würzburg und Ingolstadt, Produktion von Soloprogrammen, einige Filmrollen, nun als freier Schauspieler am Vorarlberger Landestheater, Seminarleiter für Achtsamkeit und Präsenz
Mehr Informationen über die Seminare im Internet unter
www.huetten-seminare.at