“Man muss ihnen helfen”

Wetter / 16.09.2015 • 18:49 Uhr
Caroline Gottwald betreute in Nickelsdorf einen Tag lang Flüchtlinge: „Diesen Tag vergesse ich nie mehr.“      Foto: privat
Caroline Gottwald betreute in Nickelsdorf einen Tag lang Flüchtlinge: „Diesen Tag vergesse ich nie mehr.“      Foto: privat

Die Rotkreuz-Mitarbeiterin arbeitete in der Flüchtlingsaufnahmestelle in Nickelsdorf.

Bregenz. (VN-kum) Was Caroline Gottwald über die Flüchtlinge hörte, war zweigeteilt. „Die einen sagten: Das sind ganz arme Menschen. Die anderen meinten, dass es Menschen sind, die der Armut in ihrer Heimat entkommen wollen.“ Die freiwillige Mitarbeiterin des Roten Kreuzes wollte sich ihr eigenes Bild machen. Die Bregenzerin fuhr nach Nickelsdorf und half einen Tag lang mit, Flüchtlinge zu versorgen.

Kein Lachen gehört

Sie schildert ihren ersten Eindruck von der Aufnahmestelle: „Ich sah irrsinnig müde und erschöpfte Menschen, die, in Decken gewickelt, auf Feldbetten saßen oder lagen. Es war extrem ruhig. Wenn die Flüchtlinge sprachen, dann ganz leise. Ich hörte kein Lachen. Der Wind pfiff, es war zugig und kalt, und es roch nach Schmutz und ungewaschenen Menschen.“ All diese Eindrücke zusammen waren für Caroline ein Schock. „Ich war entsetzt und fragte mich: Wie gehe ich auf diese Menschen zu und wie kann ich ihnen helfen?“

Die 47-Jährige nahm als erstes einen Putzfetzen in die Hand und beseitigte den Unrat der Nacht. Sie gab Tee und Suppe aus, legte Feldbetten zusammen, händigte saubere und trockene Kleidung aus, verteilte Hygieneartikel und versorgte wundgelaufene Füße. Sie gab Auskunft und beruhigte die verängstigten Menschen. „Sie wollten von mir wissen, wo sie sind und wie es für sie weitergeht. Ich sagte ihnen, dass sie in Österreich sicher seien. Da wurden sie ruhiger.“

Manche fassten Vertrauen zu ihr und erzählten ihr ihre Geschichte, wie etwa ein Universitätsprofessor aus Afghanistan, der zwei Monate auf der Flucht war und die letzten drei Tage nichts getrunken und gegessen hatte. „Er hatte einen Anruf bekommen, dass er sofort das Land verlassen müsse, ansonsten würden er und seine Familie sterben. Er hatte gerade noch die Zeit, seine Frau anzurufen und ihr zu sagen, dass sie sich mit den zwei Söhnen ebenfalls auf den Weg machen solle.“ Der Afghane zeigte der Rotkreuz-Mitarbeiterin ein Foto von seiner Familie aus glücklicheren Tagen und meinte: „So eine Familie gibt man nur auf, wenn man überleben will.“

Oft kämpfte Caroline an diesem Tag mit den Tränen, zum Beispiel, als sie einen jungen Mann sah, der auf einem Feldbett lag und ein Plüschtier fest an sich gedrückt hielt. „Er muss in einer Ausnahmesituation gewesen sein. Sonst hätte er das nicht getan.“

Das Leid in den Gesichtern der aus ihrer Heimat Vertriebenen und ihre verängstigten Blicke hat sie noch heute vor Augen. Auch deshalb wird sie diesen Tag nie mehr vergessen. „Weil er mir gezeigt hat, wie leicht es eigentlich ist, Menschlichkeit zu leben.“ Wenn heute jemand ihre Meinung über die Flüchtlinge wissen will, dann antwortet sie ihm: „Das sind Menschen, keine Ware. Man muss ihnen helfen. Ich kann es mit mir nicht vereinbaren, auch nur einen Menschen vor die Hunde gehen zu lassen.“         

Eigentlich ist es leicht, Menschlichkeit zu leben.

Caroline Gottwald

Zur Person

Caroline Gottwald

Als freiwillige Mitarbeiterin beim Roten Kreuz war sie in Nickelsdorf im Einsatz und hat Flüchtlinge versorgt.  

Geboren: 16. Jänner 1968

Ausbildung: Hotelfachschule

Beruf: Büroangestellte

Familie: geschieden