“Krisen sind oft Chancen”

Wetter / 21.08.2017 • 19:18 Uhr
40 Jahre war das LKH Rankweil die Wirkungsstätte von Hubert Schneider. Als Gefängnispsychiater engagiert er sich nach wie vor.    Foto: VN/Sams
40 Jahre war das LKH Rankweil die Wirkungsstätte von Hubert Schneider. Als Gefängnispsychiater engagiert er sich nach wie vor.    Foto: VN/Sams

40 Jahre setzte sich der Psychiater für Menschen am Rande der Gesellschaft ein. Jetzt ging er in Pension.

Rankweil. (VN-kum) Seine Mutter, eine Bauersfrau aus Egg, hätte es gerne gehabt, wenn er Pfarrer geworden wäre. Deshalb durfte Hubert Schneider das katholische Bubeninternat Marianum in Bregenz besuchen. Aber die Priester im Internat waren ihm kein Vorbild. „Sie waren keine Pädagogen. Wir Schüler standen unter ihrer Fuchtel.“ Das Internatsleben war damals so restriktiv, dass er später das Bundesheer als „Befreiung“ empfand.

Gefängnis Psychiatrie

Der junge Mann studierte Medizin, weil er Psychiater werden wollte. „Der Mensch und sein Seelenleben faszinierten mich.“ Seine Facharztausbildung absolvierte er in der damaligen Valduna. „Als ich dort 1977 den Dienst antrat, war die Psychiatrie wie ein Gefängnis. Es gab fast nur geschlossene Stationen, der Hof, von hohen Mauern umgeben, wurde von einem Pfleger überwacht, sodass ja niemand nach draußen konnte“, erinnert er sich.

Doch bald schon wurde über die Öffnung der Psychiatrie diskutiert. Die moderne Sozialpsychiatrie begann sich durchzusetzen – auch in Rankweil. Sie verfolgte den Ansatz, seelisch kranke Menschen nicht zu bevormunden und „wegzusperren“. „Aus einer Verwahranstalt wurde innerhalb weniger Jahre ein Spital, wo Menschen ein und aus gehen können“, erläutert Schneider den Wandel an seiner Wirkungsstätte.

Am LKH Rankweil stand der Wälder als leitender Oberarzt der Sozialpsychiatrie vor. Er bemühte sich vor allem um Patienten, die Schwierigkeiten hatten ins Leben zurückzufinden und mehrmals die Hilfe der Einrichtung benötigten. „Für sie haben wir eine eigene Station aufgebaut, um sie aufs Leben draußen vorzubereiten.“ Diese Patienten waren für ihn eine besondere Herausforderung und verlangten ihm viel menschliches Engagement ab. Sie lehrten ihn, dass man auch aus schwierigen Krankheitssituationen herauskommen kann. „Viele konnten wieder ein normales Leben führen.“

Sein Beruf zeigte ihm auch, dass Krisen in den meisten Fällen eine Chance darstellen und man bei entsprechender Unterstützung daran reifen kann. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die wenigsten an Krisen zerbrechen. „Die meisten wachsen dadurch seelisch.“ Andererseits hat er aber auch festgestellt, dass jene Generationen, die im Wohlstand aufgewachsen sind, nicht so viel Widerstandskraft haben gegenüber Belastungen und Herausforderungen wie jene, die schon härtere Zeiten erlebt haben, zum Beispiel die Nachkriegsgeneration. „Sie sind Krisen hilfloser ausgeliefert. Auch weil intakte Familien immer seltener werden.“

Schneider selbst geriet nie aus dem Gleichgewicht bzw. verlor nie den Halt im Leben. „Ich hatte Glück, dass ich in eine stabile Situation hineingeboren wurde und mich keine Schicksalsschläge trafen. Dass ich so ein Leben geschenkt bekommen habe, ist nicht die Norm. Das weiß ich von meinen Patienten.“

Wenig Suizide im Gefängnis

Diese behandelte er übrigens nie von oben herab, sondern begegnete ihnen immer auf Augenhöhe. „Sie hatten nicht das Glück, das ich hatte. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn ich in anderen, zerrütteten Verhältnissen aufgewachsen wäre.“ Vielleicht wäre er dann auch im Knast gelandet, so wie einige seiner Schützlinge. Seit 35 Jahren betreut der Wahl-Feldkircher als Gefängnispsychiater auch psychisch kranke Straftäter. Er nahm diesen Job einst an, „weil ich Menschen unterstützen wollte, die aus allen Bezugssystemen herausgefallen sind“. Diese Arbeit erfüllt ihn bis heute. Denn: „Ich kann Menschen helfen, diese schwierige Zeit zu überstehen.“ Es spricht für ihn, dass es in der Justiz­anstalt Feldkirch nur ganz selten zu Suiziden kommt.

Das Leben, das mir geschenkt wurde, ist nicht die Norm.

Dr. Hubert Schneider

Zur Person

Hubert Schneider

trug als Oberarzt zur Öffnung der Psychiatrie bei und als Gefängnispsychiater zur Humanisierung im Strafgefangenenhaus.

Geboren: 21.  April 1952

Familie: drei Töchter, zwei Enkel

Hobbys: Kunstradtrainer, Garten