“Der Mensch geht verloren”

Wetter / 20.09.2017 • 18:31 Uhr
"Der Mensch geht verloren"

Ehrenamtliche baut Beziehung zu demenzkranker Frau auf.

Bregenz Die Kinder waren groß, die Firma übergeben. Jetzt hatte Irmgard Mader wieder mehr Zeit für sich. Die Bregenzerin suchte nach einer neuen, sinnvollen Aufgabe. Sie wurde bei der Hospizbewegung fündig. „Es ist eine sehr schöne Aufgabe, schwerkranke und sterbende Menschen zu begleiten. Jeder Einsatz bedeutet eine Begegnung. Man bekommt von den Menschen viel zurück“, erklärt Mader, warum sie seit fünf Jahren mit Begeisterung Hospizbegleiterin ist.

Außerdem habe sie auf diese Weise den Tod kennengelernt. „Es ist ein Privileg, beim Tod eines Menschen dabei sein zu dürfen. Denn es ist ein sehr intimer Augenblick.“

Ungeheuer mütterlich

Die Begegnung mit einer demenzkranken Frau stand am Beginn ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit. „Ich habe Eva zwei Jahre lang begleitet, bis zu ihrem Tod.“ Die pensionierte Gymnasialdirektorin, die kinderlos und nie verheiratet war, lebte in einem Pflegeheim. Mader besuchte die über 80-Jährige ein- bis zwei Mal wöchentlich. Der erste Eindruck, den Mader von ihr hatte: eine kühle, distanzierte Frau. „Doch als der Bann der Fremdheit gebrochen war, war sie ungeheuer mütterlich.“ Die Hospizbegleiterin erinnert sich an berührende Momente: „Sie bot mir ihre Wolldecke an, damit ich nicht friere und fragte mich besorgt, wie ich nach Hause käme.“

Mader gelang es, eine Beziehung zu der demenzkranken Frau aufzubauen. Und das, obwohl Konversation für demente Menschen schwierig ist. „Einmal sagte sie: ,Mit dir kann ich einfach gut reden.‘ Es freute Eva, dass sie sich noch unterhalten konnte.“ Aber sie bemerkte auch ihre Defizite. „Es gab Tage, da brachte sie keinen geraden Satz heraus. Darunter litt sie sehr.“ Mader glaubt, dass es die Hölle sein muss, wenn man merkt, dass man seine kognitiven Fähigkeiten verliert. Um ihr auf die Sprünge zu helfen, begrüßte die engagierte Ehrenamtliche Eva bei jedem Besuch mit „Hallo, ich bin‘s, die Irmgard“, denn die betagte Altersheimbewohnerin erkannte die Hospizbegleiterin nicht immer. „Aber wenn ich mich vorstellte, merkte ich, dass ich ihr bekannt vorkam.“        

Mader kannte die Schuldirektorin früher nicht, lernte sie erst im Seniorenheim kennen. „Dennoch entwickelte sich bei mir ein Bild, wie sie war, bevor sie dement war.“ Nachsatz: „Sie war eine Frau, die wusste, was sie wollte.“

Zum Schluss bettlägrig

Für die Hospizbegleiterin hat es eine gewisse Tragik, wenn bei einem Menschen diese schwere Krankheit diagnostiziert wird. „Denn es wird einem so vieles geraubt. Vieles von dem, was einen ausgemacht hat, geht verloren. Der Mensch, der man war, geht verloren. Es ist nicht einfach, ihn wieder zu finden. Nur mit viel Einfühlungsvermögen und Achtsamkeit gelingt es, die Persönlichkeit wieder aufzuspüren.“

Eva, die zum Schluss bettlägerig war und zu essen aufhörte, starb nicht, ohne Mader etwas gelehrt zu haben: Dankbarkeit. Mehr denn je freut sich die Bregenzerin über das selbstbestimmte Leben, das sie führen darf. „Ich bin froh, dass ich in der Lage bin, jeden Tag selbst zu gestalten.“

Irmgard Mader setzte Eva mit ihrem schmalen Buch „Ich mag Sie, Frau Doktor!“ ein Denkmal. „Ich habe die Dialoge mit Eva aufgeschrieben, weil ich sie so interessant fand.“ VN-Kum

„Es muss die Hölle sein, wenn man merkt, dass man seine kognitiven Fähigkeiten verliert.“

Zur Person

Irmgard Mader
begleitete eine demenzkranke Frau zwei Jahre lang und schrieb darüber ein Buch.

Geboren 23. Mai 1952

Ausbildung Diätologin

Familie verheiratet, drei Kinder

Hobbys Lesen, Musik, Radfahren, Wandern