Tödlicher gelber Staub

Einsatz von Uranmunition hat verheerende Auswirkungen auf Mensch und Ökologie.
HADZICI, SCHWARZACH. Jovo S. hat sie selbst gesehen, die A-10-Bomber der US-Luftstreitkräfte, wie sie im Tiefflug über Hadzici dahinfegten und Bomben abwarfen. Die meisten krachten in und um ein Fabrikgebäude, das etwas außerhalb des Zentrums dieses serbischen Vororts von Sarajevo stand und von der bosnisch-serbischen Armee als Reparaturwerkstatt genutzt wurde. Am 10. September 1995 detonierte eine Bombe im Feld vor Jovos Wohnhaus. Den Bombenkrater hatte die damals sechsjährige Tochter Sladjana als Spielplatz betrachtet. Sie formte „Kuchen“ aus Erde und verwendete Bombensplitter als „Teller“. Woher sollte das Kind wissen, dass die amerikanischen Kampfflieger Uranmunition abgeschossen hatten und dass der gelbe Staub, der sich unter ihren Fingernägeln angesammelt hatte, radioaktiv verseucht war? „Eineinhalb Monate später fielen ihr alle Finger- und Zehennägel aus“, erzählt Jovo S. „Auch innere Blutungen traten auf. Sie wurde sehr schwach, konnte nichts mehr essen, nicht mehr schlafen.“ Schließlich der Durchfall, der nicht aufhörte, und der Brechreiz. Dann fiel das Kind ins Koma. Im Militär-Hospital in Belgrad wurde Sladjana vom Onkologen Dr. Zoran Stankovic untersucht. Er kam zu dem Schluss, dass es sich um Kontaminierung durch radioaktives Material handelte.
40 Tonnen im Balkankrieg
In Bosnien-Herzegowina haben amerikanische NATO-Piloten in den Jahren 1994 und 1995 etwa 18.000 panzerbrechende Hartkerngeschosse mit radioaktivem Uran auf die von den Serben kontrollierten Gebiete verschossen – auf den Kosovo, auf Serbien und Montenegro 31.000. Laut einer Studie gingen Forscher vom Independent Scientific Research Institut in Genf davon aus, dass im Krieg gegen Jugoslawien von den NATO-Streitkräften insgesamt etwa 40 Tonnen DU-Munition verbraucht wurden.
Hunderte Tonnen Uranmunition wurden in indisch-pakistanischen Grenzkonflikten, in Afghanistan, im Zweiten Golfkrieg und im Irakkrieg verwendet. Auch in Libyen haben kanadische Wissenschafter radioaktive Isotope gefunden, die auf den NATO-Einsatz mit
Uranwaffen zurückzuführen seien. Und vor etwa einem Monat soll die israelische Armee Uranbomben auf Syrien abgeworfen haben, was Israel offiziell dementiert.
Schwere toxische Wirkung
Dass der Einsatz von uranangereicherten Geschossen verheerende Auswirkungen auf die Ökologie der betroffenen Länder und auf deren Bewohner hat, darüber sind sich die Genfer Forscher ebenso einig wie Experten aus der EU. Seitens der NATO hingegen wird noch immer behauptet, die Verwendung von DU-Munition stelle keine gesundheitlichen Risiken dar. Tatsache ist jedoch, dass Kontakt mit angereichertem Uran bzw. Uranoxidstaub eine schwere toxische Wirkung hervorrufen kann.
Die Folgen können der Zusammenbruch des Immunsystems, Funktionsstörungen von Leber und Nieren, Knochenmarksveränderungen, Krebs sowie Missbildungen und Fehlgeburten sein. Zusammengefasst werden diese Symptome als das von Professor Siegwart-Horst Günther beschriebene „Golfkriegssyndrom“ bezeichnet. In dem 2007 gedrehten Film „Deadly Dust – Todesstaub“ erklärt der 88-jährige deutsche Arzt und Wissenschafter, dass in den nächsten 15 bis 20 Jahren allein im Irak fünf bis sieben Millionen Menschen an Krebserkrankungen sterben werden.
„Der Einsatz von Uranmunition und Uranbomben ist ein Kriegsverbrechen“, ist laut dem Produzenten Frieder Wagner die Kernaussage dieses Films. Denn bei Uranwaffen handle es sich um „eine Waffe, die radioaktiv und hoch giftig ist und noch lange Zeit nach ihrem Einsatz die Umwelt verseucht und für die dort lebenden Menschen höchst gefährlich, ja tödlich sein kann.“
Tote und Erkrankte
Vermutet wird, dass Uranmunition für die Erkrankung von mindestens 130 000 US-Soldaten verantwortlich ist, die am Golf-Syndrom leiden. Über 500 sind bereits daran gestorben. Nach dem NATO-Einsatz im Kosovo erkrankten in Spanien, Portugal und Italien ehemalige KFOR-Soldaten an Leukämie. In Italien sind nach Angaben eines Verbands zum Schutz italienischer Soldaten bisher mehr als 30 Militärangehörige an den Auswirkungen der Uran-Munition gestorben, 300 weitere erkrankt. Insgesamt sind offiziell mehr als 50 NATO-Soldaten aus 18 verschiedenen Ländern, die in Bosnien und im Kosovo im Einsatz waren, an Krebs – vorwiegend Leu-kämie – gestorben. Niemand weiß, wie viele Opfer es unter den Zivilpersonen in den betroffenen Ländern gibt. Und niemand weiß, wie lange Sladjana noch zu leben hat.

Stichwort
Die Folgen von Uranvergiftung
Leukämie und andere Krebsarten sowie Schädigungen des Immunsystems sind die häufigsten Folgen von Uranvergiftung. Betroffen sind alle Lebewesen, die mit Uranmunition und Uranoxidstaub in Berührung kommen. Werden Uranoxidteilchen eingeatmet, wandern sie ins Lungengewebe und ins Blut, von dort in Nieren und Leber und vergiften die Zellen.