„Hirnschneider“ machte Menschen zu Zombies

Behinderte, psychisch Kranke, auch „schwierige“ Kinder wurden einst lobotomiert.
schwarzach. Rosemary Kennedy kommt am 13. September 1918 zur Welt. Die jüngere Schwester des ehemaligen Präsidenten John F. Kennedy ist ein scheues Kind, das spät laufen lernt. Bei einem Intelligenztest wird eine „milde geistige Behinderung“ festgestellt. Ein umstrittener Befund, der jedoch ihr Leben beeinträchtigen soll.
Rosemary wächst zu einer schönen, lebenslustigen jungen Frau heran, nimmt rege am sozialen Leben teil und schließt die Ausbildung zur Montessori-Pädagogin ab. Doch zum Leidwesen ihrer Eltern entwickelt sie einen „schwierigen“ Charakter. Sie wird als eigensinnig, jähzornig und schwer zu bändigen beschrieben.
Die Eltern befürchten, ihr Verhalten könnte den Ruf der Familie schädigen. Darum schicken sie Rosemary, als sie 23 Jahre alt ist, zum Psychiater und Neurologen Dr. Walter Freeman, um an ihr eine präfrontale Lobotomie vorzunehmen. Bei dieser Hirnoperationstechnik wird auf beiden Kopfseiten, im Bereich des präfrontalen Kortex, je ein etwa zwei Zentimeter großes Loch in den Schädel gebohrt. Dann führt der Chirurg ein längliches Messer oder ein speziell entwickeltes Leukotom in ein Loch ein und zerschneidet damit Teile des Gehirns. Dabei werden Faserbahnen in der weißen Substanz und auch Bereiche der grauen Substanz im Gebiet des präfrontalen Kortex irreversibel zerstört. Die Prozedur wird beim anderen Loch wiederholt.
Katastrophale Folgen
Walter Freeman ist davon überzeugt, psychische Erkrankungen durch diese äußerst brutale Methode heilen zu können. Doch für die meisten seiner Patienten hat der Eingriff katastrophale Folgen. Auch für Rosemary Kennedy. Die von Freeman versprochene Verbesserung bleibt aus. Stattdessen ist Rosemary schwer behindert und bis zu ihrem Lebensende ein Pflegefall.
Als Erfinder der präfrontalen Lobotomie wird der Portugiese Antonio Egas Moniz genannt. Der Neuorologe vertrat die These, dass die Durchtrennung von Nerven, die vom Stirnlappen zum Zentrum des Gehirns verlaufen, seelische Krankheiten auslöschen könne. Für diese „Innovation“ wurde ihm 1949 der Nobelpreis verliehen – den eigentlich Walter Freeman für sich beanspruchen wollte. Denn Freeman war es, der die Lobotomie 1937 auf der Tagung der „American Medical Association“ vorstellte und somit in den USA eingeführt hatte. Zudem entwickelte er seine eigene Methode, die er gemeinsam mit dem Neurochirurgen James Watts durchführte: die transorbitale Lobotomie, die zwar wesentlich einfacher ausführbar war, aber als besonders bestialisch galt. Freeman hob das Augenlid des durch Elektroschocks narkotisierten Patienten an, drang mit einem wie ein Eispickel aussehenden Instrument oberhalb des Augapfels in die Orbita ein, durchstach die Hirnhaut und vollführte dann mit dem Gerät im Frontallappen ruckartige, das Gewebe zerreißende Bewegungen. Dabei machte Watts nicht mehr mit und trennte sich von Freeman.
Gier nach Anerkennung
Insgesamt lobotomierte Freeman in den folgenden drei Jahrzehnten mehr als 3500 Patienten, wobei sein Auftreten dem eines Showstars glich. Wegen seiner Gier nach Anerkennung ließen ihn die unzähligen Misserfolge kalt. Für ihn galt nur, dass die Lobotomierten keine Probleme mehr bereiteten und dadurch auch das Personal in den psychiatrischen Kliniken entlastet wurde.
Erst nachdem die Lobotomie an einem zwölfjährigen Buben schiefging und eine Patientin beim dritten Eingriff starb, wurde ihm 1967 die Lizenz zur operativen Tätigkeit entzogen. Damals begann die Öffentlichkeit in den USA gegen die Lobotomie – jene medizinische Methode, die einst begeisterte Fürsprecher fand und das Leben vieler Patienten zerstörte – zu intervenieren.
Freeman erlag 1972 einer Krebserkrankung. Rosemary Kennedy starb am 7. Jänner 2005 in einem Pflegeheim in Wisconsin.