Besuch aus Brasilien

Thomas Bauer lebt seit Jahren in Brasilien – mit Cornelius Lingg sprach er über die bevorstehende WM.
Bregenz. Im Zuge eines arbeitsreichen „Heimaturlaubes“ besuchte Thomas Bauer, gebürtiger Vorarlberger, der seit vielen Jahren in Brasilien lebt, auf Einladung der Dreikönigsaktion Vorarlberger Schulklassen, um mit den Jugendlichen über die nahende Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien zu sprechen. Der gelernte Bootsbauer wuchs in Höchst auf, besuchte in Wien die Katholische Sozialakademie (Sozialethik, Politik und Wirtschaft) und studierte in Rio de Janeiro Philosophie. Seit 1996 ist er im brasilianischen Bundesstaat Bahia als Mitarbeiter der Landpastoralkommission in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Diese Zusammenarbeit ist unter anderem durch die langjährige Partnerschaft und finanzielle Unterstützung der Pfarre Frastanz und der Diözese Feldkirch möglich.
Thomas, du lebst seit vielen Jahren in Brasilien, wie ist die Stimmung im Land so kurz vor den großen Spielen?
Thomas Bauer: Wir können von einer zweigeteilten Gesellschaft sprechen. Die einen setzen sich klar für die Austragung ein, die anderen sind dagegen. Aus meiner Sicht ist allerdings bereits klar, dass egal, wer nach dem Finalspiel den goldenen FIFA-WM-Pokal in die Höhe heben wird, Brasilien die WM bereits verloren hat – denn die Strategie der brasilianischen Regierung, sich als zukünftige Weltwirtschaftsmacht zu präsentieren, ist fehlgeschlagen. Auch unter der Bevölkerung gibt es kaum Anzeichen von Euphorie, und laut einer letzten Umfrage sind mehr als die Hälfte aller Brasilianer gegen die Austragung im eigenen Land. Die Straßen sind nicht wie früher mit den nationalen Farben bemalt, stattdessen sieht man an allen Ecken Bilder der Proteste und das brutale Vorgehen der Polizei.
Wer trägt die Verantwortung an diesen Zuständen?
Bauer: Schuld an dieser Situation sind vor allem die FIFA sowie die brasilianische Regierung. Kurz nach der WM-Vergabe verkündete der brasilianische Präsident Lula da Silva voller Stolz, dass in Brasilien keine öffentlichen Gelder für die Fußball-WM ausgeben würden. Heute, nach den letzten Hochrechnungen, wurden bereits über elf Milliarden Euro für dieses Mega-Event ausgegeben. Das heißt konkret, dass die brasilianische Bevölkerung der FIFA die Fußball-WM bezahlt. Dieses Geld fehlt dann in anderen Bereichen wie Bildung, Sozialem und öffentlichem Transportwesen. Im Gegensatz dazu kann die FIFA mit Rekordeinnahmen von über fünf Milliarden US-Dollar rechnen – und das alles steuerfrei.
Was würdest du jemandem raten, der während dieser Zeit nach Brasilien reist?
Bauer: Ich würde mir wünschen, dass alle, die während der Fußball-WM nach Brasilien kommen, offen und bereit sind, hinter die Kulissen zu schauen. Derzeit gibt es eine Negativ-Kampagne gegen die brasilianische Bevölkerung, bei der viele negative Klischees bedient werden. Aber wenn die Bauarbeiter 16-Stunden-Arbeitstage leisten, damit die Stadien fertig werden, ohne Überstunden ausbezahlt zu bekommen und vielfach ohne die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen, kann man da von brasilianischer Faulheit oder Unzuverlässigkeit sprechen? Ich glaube, da gibt es andere Gründe dafür, dass Stadien nicht rechtzeitig fertig werden: Stichwort Korruption!
Was gefällt dir am besten am Leben in Brasilien und was vermisst du aus Vorarlberg?
Bauer: Ich denke, man fühlt sich überall dort wohl, wo das soziale Umfeld passt und die Arbeit Freude und Sinn macht. Ich hatte nie Heimweh im eigentlichen Sinn, allerdings fehlen mir natürlich gute Freunde, Bekannte und Verwandte aus Vorarlberg.
Wir können von einer zweigeteilten Gesellschaft sprechen.
Thomas Bauer

Mehr Berichte von Thomas Bauer direkt aus Brasilien auf seinem Blog: tbauerblog.wordpress.com. Das Interview führte Cornelius Lingg von der Dreikönigsaktion.