Marlies Mohr

Kommentar

Marlies Mohr

Das Leben umarmen

Gesund / 15.11.2013 • 11:50 Uhr

Ihre Jacke ist gelb. Sonnengelb. Sie scheint irgendwie damit verwachsen zu sein. Scheint darin gleichsam zu wohnen. Sie dürfte auch gerne früh aufstehen. Auf jeden Fall ist sie oft die Erste, die mir auf meinen morgendlichen Laufrunden begegnet. Die Stöcke fest in der Hand und den Blick konzentriert nach vorne gerichtet, geht sie ihres Weges. Grad so, als wolle sie das Leben mit jedem Schritt umarmen. Es nicht loslassen. Rufen: „Sieh her, ich bin noch da. Möchte noch lange da bleiben.“

Sie ringt mir immer wieder Bewunderung ab, diese alte Dame, die unbeirrt den Jahren trotzt. Bei Wind und Regen. Bei Schnee und Sonne. Lange war sie meist alleine unterwegs. Inzwischen wird sie von einem Mann begleitet. Auch schon älter, aber wie sie unverdrossen unterwegs. Ich habe ihn schon getroffen, als er noch dem Joggen frönte. Mittlerweile hat er auf eine langsamere Gangart umgeschaltet. Hat sich den Gegebenheiten des Alters angepasst. Einen neuen, jedoch nicht minder freudvollen Rhythmus gefunden.

Es ist schön, diesen beiden Menschen zuzusehen. Die Gemeinsamkeiten zu erahnen, die sie tragen und Tag für Tag das Dasein spüren lassen. Vielleicht noch intensiver, jetzt, wo der Abend unaufhaltsam näher rückt. Warum ich Ihnen das gerade jetzt erzähle? Jetzt, da man lieber in der kuscheligen Behaglichkeit der vier Wände verharren würde? Genau deshalb. Bewegung ist an kein Alter und schon gar nicht ans Wetter gebunden. Das kann nicht oft genug gesagt werden. Spüren Sie das Leben dort, wo es stattfindet. Draußen.

marlies.mohr@vorarlbergernachrichten.at