Das Problem der Überdiagnosen
Die Wissenschaft ringt heftig um die Wahrheit von Nutzen und Schaden des Mammographie-Screenings. Eine abschließende sichere Beurteilung ist nicht möglich, weil Frauen sich zu Recht nicht mehr willkürlich in Gruppen mit oder ohne Mammographie einteilen lassen. In den Studienergebnissen der letzten zwei Jahre hat sich der Verdacht erhärtet, dass im Rahmen des Mammographie-Screenings das Problem der Überdiagnose sich häufiger stellt als bisher angenommen. Was sind Überdiagnosen? Wir verstehen darunter Krankheitsdiagnosen, z.B. Brustkrebs, die im weiteren Verlauf des Lebens nie zu Symptomen oder zum Tod führen. Alle diese Diagnosen sind mit modernsten Labormethoden durch hoch qualifizierte Pathologen absolut sicher gestellt. Es besteht also kein Zweifel an der Krebsdiagnose. Aber große Vergleichsstudien zeigen, dass nicht alle Krebsdiagnosen zu Beschwerden oder gar zum Tod führen.
In einer kanadischen Studie bei 44.925 Frauen im Alter zwischen 40 und 59 wurden jährlich eine ärztliche Brustuntersuchung und eine Mammographie durchgeführt, in der Kontrollgruppe mit 44.910 Frauen wurde die Brustuntersuchung ohne Mammographie vorgenommen. Im Zeitfenster von 25 Jahren ist in der Mammographie-Gruppe bei 3250 Frauen Brustkrebs diagnostiziert worden, in der Gruppe ohne Mammographie waren es 3133 Frauen. Daraus errechnet sich, dass auf 424 Frauen eine Überdiagnose durch die Mammographie entfällt. Insgesamt sind von den Frauen mit Mammographie 500, in der Gruppe ohne Mammographie 505 an Brustkrebs gestorben. Sicher gibt es auch Studien mit besseren Ergebnissen – was aber bleibt ist das Problem der Überdiagnose, die selbst von den sehr erfahrenen britischen Befürwortern mit drei auf 1000 berechnet wird.
Sinnvoll ist die Screening-Mammographie am ehesten im Alter von 50 bis 69 Jahren. In Österreich rechnen wir in diesem Lebensabschnitt mit ca. 55 Brustkrebsdiagnosen auf 1000 Frauen. Davon überleben ca. 44 Frauen, die Mammographie rettet zusätzlich eine von diesen 1000 Frauen. Drei von 1000 Frauen mit Mammographie erhalten eine Überdiagnose mit einer überflüssigen kompletten Krebstherapie: Operation, meist Chemotherapie, Strahlentherapie und jahrelange Nachsorge. Leider sind wir heute noch nicht in der Lage, diese korrekten Krebsdiagnosen als Überdiagnosen zu erkennen.
Das Problem der Überdiagnose besteht bei mehreren Malignomen. Nicht jedoch, und hier muss sehr genau unterschieden werden, bei jenen des Gebärmutterhalses oder auch solchen des Dickdarms; bei diesen Organen wird mittels Abstrich bzw. Darmspiegelung nicht nach Krebs, sondern nach dessen Vorstadien, die sicher heilbar sind, gesucht.
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Prim. a. D. Dr. Hans Concin, Leiter Stabstelle Datenmanagement,
Wissenschaft und Vorarlberger Krebsregister aks gesundheit GmbH.
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