Zwischen Autonomie und Herdenimmunität

Über rechtliche, ethische und medizinische Aspekte von Schutzimpfungen.
Wien. Namhafte Expertinnen und Experten aus unterschiedlichsten Bereichen diskutierten im Rahmen einer Tagung des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin und der Plattform Patientensicherheit über rechtliche, ethische und medizinische Aspekte von Schutzimpfungen.
Unbestreitbarer Benefit
Schutzimpfungen zählen zu den wirksamsten primären Präventivmaßnahmen in der Medizin. Darüber gibt es wissenschaftlich keine Zweifel. Mit ihrer Hilfe ist es gelungen, viele Krankheiten zu überwinden oder effizient zu bekämpfen. Aus medizinischer und volkswirtschaftlicher Sicht ein unbestreitbarer Benefit, ist damit allerdings aus psychologischer Sicht auch ein gewisses Gefahrenpotenzial verbunden. Bedrohungsszenarien sind verschwunden und haben in Teilen der Bevölkerung zur Impfskepsis und Impfmüdigkeit geführt.
„Die Risikowahrnehmung ist abhängig vom Erfolg der Impfprogramme“, erläuterte Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin an der Medizinischen Universität Wien: „Weil Programme so erfolgreich waren, ist der Schrecken verloren gegangen.“ Laut Wiedermann-Schmidt verfolgen Impfprogramme generell vier Ziele: den Individualschutz, den kollektiven Schutz, die Reduktion von Erkrankungsinzidenz – also die Verhinderung von Epidemien – sowie die regionale Elimination bzw. globale Eradikation von Krankheitsbildern, wie dies bei den Pocken gelungen ist. Das wesentliche Erfolgskriterium für nationale Impfprogramme ist für Wiedermann-Schmidt das Erreichen einer „Herdenimmunität“.
Besonders emotional wurde die Diskussion über Pro und Contra von Schutzimpfungen, über Autonomie und Verantwortung, im Zusammenhang mit dem Kinderimpfprogramm geführt.
Prof. Dr. Reinhold Kerbl, Leiter der Abteilung für Kinder und Jugendliche am LKH Leoben, hat vier Elterngruppen identifiziert: 40 Prozent aller Eltern befolgen demnach die Impfempfehlungen des Nationalen Impfgremiums zu 100 Prozent, ein fast ebenso großer Teil befürwortet Impfungen zwar grundsätzlich, modifiziert die Pläne der Experten aber. Die Impfskeptiker tun dies in einem noch viel größeren Maße. Die Impfgegner schließlich lehnen jede Impfung kategorisch ab. Der Gruppe sind immerhin drei bis vier Prozent der Eltern zuzurechnen. Kerbls Appell: „Ja, es gibt Impfnebenwirkungen, in sehr seltenen Fällen auch Impfkomplikationen, aber die stehen medizinisch in keinem Verhältnis zu den Komplikationen, die aus den Krankheiten entstehen können.“
Mit der Aufklärungspflicht im Rahmen von Schulimpfungen setzte sich Prof. Dr. Andreas Kletecka von der Universität Salzburg auseinander. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit hatte er ein Gutachten erstellt, dessen Empfehlungen nun vom Ministerium übernommen wurden. Der Zivilrechtler schlägt darin eine Kombination aus schriftlicher Aufklärung mit der Nennung der wichtigsten Risiken und einem Verzicht für jene Eltern vor, die das angebotene Aufklärungsgespräch nicht führen wollen.