„Machen Sie es am besten wie die Stoiker“

Rebekka Reinhard rät zu einem frühzeitigen philosophischen Leben.
Lech. (VN-mm) Vom 6. bis 9. Juli ist Lech wieder Schauplatz der international besetzten Gesundheitsveranstaltung Medicinicum. Diesmal geht es um Medizin in Ost und West. Die deutsche Philosophin Rebekka Reinhard widmet sich der Realität und dem Wahn des Anti Aging in der Gesellschaft.
Was impliziert für Sie der Begriff „Anti Aging“ und was heißt „wahre Schönheit“?
Reinhard: „Anti Aging“ steht für den uralten Menschheitstraum von der ewigen Jugend. Und die wird es wohl erst geben, wenn es uns gelungen ist, den Tod abzuschaffen. „Wahre Schönheit“ ist für mich in gewisser Weise der Triumph über Alter und Sterblichkeit. Sie steht nicht für ein faltenfreies Antlitz, sondern für die Kalogathia, die Einheit des Schönen, Guten und Wahren.
Wie ehrlich ist es, wenn Menschen behaupten, „wahre Schönheit kommt von innen“?
Reinhard: Klar, das kann man so behaupten, man kann aber auch versuchen, nach diesem Motto zu leben. Und dann erst wird es interessant. Dann darf man sich nämlich nicht mehr in die Selbstbezogenheit, in gewisse passive Alltagsroutinen zurückziehen; dann muss man sich bemühen, inneren Reichtum anzuhäufen. Und das funktioniert nicht via Botox, sondern via Bildung und Lebenserfahrung. Museumsbesuche, Fernreisen, Romanlektüre, Meditation, die Sorge um andere: Das alles sind Wege zu innerer Schönheit.
Sind wir nicht alle irgendwie auf Äußerlichkeiten bedacht? Immerhin wird uns in Studien immer wieder einmal gesagt, dass es schöne Menschen im Leben weiterbringen . . .
Reinhard: Wir leben in einer Welt der Bilder, dazu haben die Sozialen Medien maßgeblich beigetragen. Auf Instagram geht es nicht um Platon, sondern darum, wer die vollsten Lippen und die weißesten Zähne hat. Und es stimmt, dass es attraktive Menschen oft leichter haben im Leben (und auch besser bezahlt werden). Andererseits: Auch das schönste Gesicht wird irgendwann welk. Und dann? Was bleibt? Das innere Strahlen. Die Leidenschaft. Der Mut, mit dem ein Mensch sein Leben meistert. Je älter wir werden, desto komplizierter das Leben. Und desto wichtiger der Mut, die am meisten unterentwickelte Tugend unserer Tage.
Würden Sie sagen, es gibt eine Angst vor dem Alter(n)?
Reinhard: Ja, sogar eine Alterspanik. Alter wird nicht mehr mit Weisheit gleichgesetzt, Alter ist tabu, vor allem für Frauen, das schöne Geschlecht, aber auch zunehmend für Männer. Und es ist auch klar, warum das so ist. Wir leben in einer Leistungs- und Erfolgsgesellschaft. Wer nicht mehr jung, schlank, muskulös ist – oder so erscheint – läuft Gefahr, outgesourct zu werden. Nicht mehr gesehen, anerkannt zu werden. Oder sogar zu verarmen.
Wie kann man Menschen solche Ängste nehmen? Geht das überhaupt, denn mit dem Alter rückt bekanntlich auch das Lebensende immer näher?
Reinhard: Alt, schwach, krank zu werden ist und bleibt die größte narzisstische Kränkung unseres Lebens. Das war und ist so. Deshalb bin ich der Meinung, wir müssen frühzeitig anfangen, philosophisch zu leben. Uns bilden, unsere Interessengebiete und unseren Horizont immer wieder erweitern. Denn was uns am Ende bleibt, sind unsere Erinnerungen. Und unser Innenleben. Zum Beispiel ein Sinn für Schönheit, der uns trösten kann, der alle Endlichkeit zu transzendieren vermag.
Das Schöne an der Philosophie ist, dass sie Probleme wunderbar umschreiben kann. Stellt sich die Frage, wie die Philosophie Menschen in Schwierigkeiten wirklich hilft?
Reinhard: Was das betrifft bin ich ein großer Fan der Stoiker. Für die Stoiker war das Leben keine Ansammlung von „Problemen“, wie wir Selbst-Optimierer es oft sehen, sondern eine Übung. Ein Experiment. Mein Rat: Schwierigkeiten nicht als Schwierigkeiten sehen, sondern als stoische „Selbstprüfungsübungen“, die einem zu mehr Selbsterkenntnis, Werte-Bewusstsein und Mut verhelfen.

„Schön!“, „Würde Platon Prada tragen?“ und „Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen)“
Ludwig Verlag
Infos und Anmeldung: www.medicinicum.at; VN-Abonnenten erhalten eine Preisermäßigung, speziell für Berufstätige gibt es auch Halbtageskarten ab 59 Euro.