Gesundheitskompetenz heilt
Ärzte finden es positiv, wenn sich Patienten im Internet informieren.
Schwarzach Das Heimwerken gilt als authentisch und wird als gute Möglichkeit betrachtet, Selbstbestimmung zurückzugewinnen in einer digitalisierten, spezialisierten und oft auch entfremdet erlebten Welt. Was Traditionalisten laut den Buchautoren jedoch gerne übersehen: Auch die Digitalisierung bietet den Menschen die Möglichkeit, Autonomie zurückzugewinnen, wenn sie denn sinnvoll genutzt wird – gerade zur Beantwortung von Fragen rund um Gesundheitsthemen.
Scheu und Wahnsinn
Viele Menschen hätten aber immer noch Scheu, sich mit der eigenen Gesundheit zu befassen, aus Bequemlichkeit, aus Respekt vor der Allmacht des Arztes oder aus Angst vor unangenehmen Diagnosen. Viele andere wiederum würden mittlerweile mit ihren per Internet gestellten Selbstdiagnosen, meistens geht es um Krebs, ihre Ärzte und sich selbst in den Wahnsinn treiben. Ziel müsse, wie so oft, der gesunde Mittelweg sein, ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient, aber mit Rückgriff auf die vielen Vorzüge, die die moderne Technologie biete. Der Patient wird damit, schlussfolgern die Autoren, immer mehr Verantwortung im Gesundheitssystem übernehmen.
Schon jetzt suchen je nach Land und Region zwischen 50 und 80 Prozent aller Patienten regelmäßig medizinischen Rat im Internet.
Cyberchondrie als Problem
Sie informieren sich nicht nur vor dem Arztbesuch, sondern googeln nach der Sprechstunde die Diagnose und recherchieren zu alternativen Behandlungsmethoden. Diese ständige Verfügbarkeit von Dr. Google führt allerdings auch zu Cyberchondrie, der zwanghaften Sucht nach einer Internetdiagnose. Doch unabhängig davon, ob das Ergebnis gut oder schlecht ist: Dass sich Patienten heute im Netz informieren, ist Faktum und Bestandteil in jeder modernen Arzt-PatientenBeziehung. Das heißt: Ärzte sollten ihren Patienten aktiv qualitätsgesicherte Informationsquellen wie Apps, Krankenkassenseiten oder Gesundheitsportale empfehlen, die Patienten wiederum sind gut beraten, ihre gefundenen Informationen auf den Tisch zu legen. Vier von fünf Ärzten finden es übrigens positiv, dass sich Patienten im Internet informieren, denn Gesundheitskompetenz heilt. Sie ist ein wichtiger Faktor bei der Prävention von nichtübertragbaren Krankheiten, weil es veränderbare Risikofaktoren gibt. Anhand persönlicher sowie praktischer Beispiele zeigt das Buch die bereits vorhandenen Möglichkeiten der Do-it-yourself-Medizin auf, aber auch deren Grenzen. VN-MM
Die Kernthesen des Kapitels
» Das Internet führt in jeder Branche zu mehr Selbstbedienung, auch im Gesundheitswesen. Patienten wollen selbst tätig werden, wann immer möglich. Das Internet liefert die Werkzeuge dafür.
» Patienten recherchieren vor und nach dem Arztbesuch im Internet. Es ist für viele Patienten der erste Ratgeber und – zumindest in deren Augen – ein ähnlich guter wie ein Arzt.
» Cyberchondrie, eine durch Internetrecherchen verstärkte Hypochondrie, wird damit zu einer eigenen Diagnose.
» Gesundheitskompetenz bedeutet Gesundheit. Sag mir, was du über Gesundheit weißt, und ich sage dir, wie gesund die bist. Gesundheitskompetenz ist für das gute Leben so wichtig wie Lesen und Schreiben.
» Die Untersuchung durch einen exzellenten Arzt wird wohl noch lange das Beste für einen Patienten sein. Die Triage, also eine erste Einschätzung der Dringlichkeit einer Behandlung via Chatbot, ist jedoch für jedermann zugänglich und unterdurchschnittlichen Ärzten qualitativ zunehmend überlegen.
» Die digitale Selbsttriage ist dabei, zum Schlüsselprozess jeder Krankenkasse oder jedes Gesundheitsdienstleisters zu werden. Hier beginnt der gesteuerte Patientenprozess.
» Feingranulare, unbestechliche Daten im Zeitverlauf aus der Selbstvermessung werden Teil von jedem Arztbesuch, jeder Prävention, Diagnose, Therapie und Verhaltensänderung. Denn was man nicht messen kann, kann man auch nicht steuern und gezielt beeinflussen.
» Der Do-it-yourself-Labortest löst den vom Arzt initiierten Labortest im Laufe der Zeit in Teilen ab oder ergänzt ihn. Er führt zur weiteren logischen Entkopplung von Konsultation, Untersuchung, Generierung von Daten und spezifisch von Laborwerten.
» Patienten und gesunde Bürger sind bereit, ihren Beitrag zu einem verbesserten Gesundheitswesen zu leisten – ob als (Experten-)Patienten in Peer-to-Peer-Netzwerken, als Bürgerwissenschaftler oder als Datensammler.
» Das Internet verändert die Medizin wie der Buchdruck die Kirche. Das Rollenbild des Arztes verändert sich vom Halbgott in Weiß zum geschätzten Partner auf Augenhöhe. Große Teil der Medizin werden für Laien so verständlich wie Autofahren oder das Hochladen von YouTube-Videos.
» Der Begriff „Patient“ wird immer falscher. Der Patient von morgen ist meist ein gesunder Bürger, der gesund bleiben will. Die Begriffe Patient, Konsument und Produzent überlappen sich immer stärker. Moderne Bürger produzieren nicht nur selbst Strom, sondern auch Gesundheitsdaten.
Lesen Sie in der nächsten Folge: Die digitale Arzt-Patienten-Beziehung