Die Wahrheit ist verheerend

Die Medienkünstlerin Ruth Schnell präsentiert neueste Arbeiten im Kunst|Haus 2226.
Lustenau Ruth Schnell ist zweifelsohne die österreichische Doyenne der Medienkunst. 1956 in Feldkirch geboren, studierte sie u. a. an der Universität für Angewandte Kunst Wien bei Peter Weibel und Edelbert Köb. Seit 1987 unterrichtet sie selbst an der Universität für Angewandte Kunst, von 2007-2023 hatte sie die Professur und Leitung der Abteilung für Digitale Kunst an der „Angewandten“ inne. 1995 vertrat sie Österreich bei der 46. Biennale von Venedig.

2023 erschien im De Gruyter Verlag ein beeindruckendes Kompendium, herausgegeben von Peter Weibel und Katharina Gsöllpointner. Auf über 360 Seiten wird Ruth Schnells umfangreiches und beeindruckendes Oeuvre präsentiert, beginnend mit dem Analog-Video „Die Tanzen und die Toten“ (1983) bis hin zu „Flood“ (2022/2023/2024), ein dynamisches Projection Mapping von Ruth Schnell und dem deutschen Medienkünstler Martin Kusch. Eine erweiterte Version von „Flood“ wurde 2023 für die Lichtstadt Feldkirch und die Eröffnung der Kulturhauptstadt Bad Ischl/Salzkammergut 2024 erarbeitet.

Für die Ausstellung „All Targets Definded“ („Alle Ziele sind definiert“), ein Begriff aus der Militärsprache, präsentiert Schnell neun Installationen und Wandarbeiten und reflektiert über einen Themenkomplex, der ihr Schaffen als Motiv und inhaltlicher Strang schon länger begleitet: Wissenschaften, Technologieentwicklung und ihre Dienstbarmachung für militärische Zwecke. Schnells Recherchen sind weitreichend, präzise und erschreckend und die künstlerische Umsetzung ihrer Erkenntnisse, ob durch das Sichtbarmachen und dem Verbergen von Raum, Personen und Informationen (nur mittels Mixed Reality Brille erfahrbar), oder durch venezianische Konkav/Konvex-Muranoglasspiegel, deren Oberfläche verspiegelt ist, ist nicht nur ästhetisch von einer einzigartigen Qualität und Brillanz, sondern ausgefeilt, intelligent und enttarnend.

Ruth Schnell hat zwei Räume konzipiert, einen zum Themenkomplex Wissenschaft/Technologie/Verantwortung und einen zu Klima und Migration. Je tiefer man in diese Bereiche eintaucht, desto verstörender, desto unglaublicher werden die Erkenntnisse, zumal die Betrachter als Spiegelbilder selbst Teil der Installation werden. Sei es das Wissen, dass beispielsweise weltweit 5,5 Prozent der CO2-Emissionen durch Militär und Krieg verursacht werden, während der gesamte afrikanische Kontinent 4 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes produziert; oder die Installation „Lavender“ (2024), zwei venezianische Spiegel als Ausgangspunkt für ein Spiel mit dem Auftauchen und Verbergen von Informationen.

Der titelgebende Begriff „Lavender“ steht hier nicht nur für die duftende Pflanze, sondern für ein gleichnamiges KI-gestütztes System, das vor allem in der ersten Phase des Gaza-Krieges 2023 von der israelischen Armee eingesetzt wurde: Das System „Lavender“ gleicht Geheimdienstinformationen mit Verhaltensprofilen potenzieller Hamas-Kämpfer ab und erstellt daraus Todeslisten. Die Fehlerquote soll bei zehn Prozent liegen. Dem „Tod auf Knopfdruck“ durch Drohnen oder KI-gestützte Objekterkennungssysteme fügt „Lavender“ eine weitere Facette hinzu.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
In „Flood“ verschmelzen Text und Bild auf dem Monitor. Aus reinen Textbildern (komponiert aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) entstehen Bilder von Landschaften, Wasser, aber auch der Umweltzerstörung, der Migration, des Wassermangels. Die temporäre Intervention „Camouflage“ (2012) zeigt die an Fahnenmasten entlang des Busparkplatzes auf der Bielerhöhe aufgezogenen monochrom quarzgrüne Banner, anstatt der Nationalflaggen – territoriale Ansprüche wurden symbolisch neutralisiert, die grünen Banner verschmelzen mit der Farbpalette der Berge und der alpinen Flora im Hintergrund. „Meine Möglichkeit sehe ich darin, etwas transparent zu machen, aufzuzeigen, den Finger in die Wunde legen. Man muss für das Gute kämpfen, es lohnt sich, dafür zu kämpfen“, resümiert Ruth Schnell. Die Ziele sind definiert.
Thomas Schiretz
Ruth Schnell
ALL TARGETS DEFINED
Kunst|Haus 2226
Baumschlager Eberle Architekten
bis September 2024