Wenn Material zur Form wird

HE_Blude / 31.08.2022 • 15:10 Uhr
Gerold Tagwerkers „Urban seating #2“ (aka „roadside chair für LBB“) – Stahlrohr verzinkt, Gerüstkupplung verschraubt.Artenne Nenzing
Gerold Tagwerkers „Urban seating #2“ (aka „roadside chair für LBB“) – Stahlrohr verzinkt, Gerüstkupplung verschraubt.Artenne Nenzing

Von Werkstoffen, Formen und industrieller Entwicklung.

Nenzing Über Jahrhunderte hinweg stand die makellose Ausarbeitung der Form im Zentrum des künstlerischen Schaffens. Das Material war nur ein Mittel zum Zweck. Es musste gebändigt und überwunden werden. In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts aber haben die Materialien, Vorläufern wie etwa Marcel Duchamp folgend, die Oberhand gewonnen. Nicht nur als edel geltende, wie Marmor und Gold, sondern gerade auch vielfach als minderwertig angesehene Materialien wie Erde, Fett, Industriemüll, Plastik, Stahl, textile Materialien oder auch Abfallprodukte halten lauthals Einzug in den Raum der Kunst. Dies wurde zunächst als massive Grenzverletzung erlebt. Dann aber evozierte der Einsatz solcher häufig aus dem Alltag gegriffenen Materialien und Dinge neue Formen und Perspektiven. Mit den bislang diskriminierten und nicht für kunstwürdig befundenen Stoffe konnten mit einem Male pointierte Aussagen über den Zustand der Gegenwart und aktuellen Befindlichkeiten der Gesellschaft getroffen werden und die Themen der Zeit auf eine neue Weise sichtbar gemacht werden.

Die Entwicklung der Werkstoffe

Materialien unterschiedlichster Ausprägung bilden denn auch den Ausgangspunkt für die Herbstausstellung in der Artenne Nenzing. Siebzehn Künstlerinnen und Künstler respektive Künstlerduos präsentieren zwei- und dreidimensionale Kunstwerke, die vor Augen führen, wie breit und vielseitig die Gestaltungsmöglichkeiten sind, die sich durch den Einsatz verschiedenster Werkstoffe eröffnen.

Die für die Stücke verwendeten Materialien reichen dabei von Keramik, Holz, Eisen und Stahl bis hin zu Textilien, Glas oder Kunststoff sowie Fertigprodukten aus Baugroßhandlungen. Die Werke zeugen vom Erfindungsreichtum der Ausstellungspartizipienten, von der Lust am Umgang mit dem Material und dem Drang, klassisch-traditionelle Formalsprachen zu überwinden.

Die Beiträge sprengen dabei auch den von der Industrie forcierten Drang der Formenstandardisierung und der „Gleichschaltung“ formaler Anliegen. So legen die Künstlerinnen und Künstler unter anderem die Texturen und Geheimnisse, die den Werkststoffen inne wohnen, frei, und transformieren sie in neue Sinnzusammenhänge. Die Arbeiten erzeugen Öffnungen und Leerräume, geben Einblicke in das Innere und Äußere des Materials und bieten der Betrachterschaft auch immer wieder haptische Anreize und unzählige Denkanstöße.

Ein weiterer Ausgangspunkt der Schau ist, dass sich die Artenne Nenzing in einer kommenden Ausstellung umfassend mit der Industrialisierung des Walgaus und den damit zusammenhängenden Einflüssen auf die wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Entwicklung dieses regionalen Raumes auseinandersetzen will.

Denn aus industrieller Sicht war der Walgau früher von der Textilwirtschaft geprägt. Erst in neuerer Zeit haben sich andere Branchen, wie etwa die Holzindustrie, Eisen- und Metallverarbeitung, Maschinenbau oder Kunststofftechnik verstärkt im Walgau festgesetzt.

Die Ausstellung „Wenn Material zur Form wird“ könnte somit auch als künstlerischer Einstieg in diese industriegeschichtliche Folgeausstellung betrachtet werden.

Termin

Wenn Material zur Form wird

Roland Adlassnigg, Luka Jana Berchtold, Bildstein/Glatz, Judith P. Fischer, Bernhard und Mathias Garnitschnig, Sophie C. Grell, Dagmar Höss, Ra‘anan Harlap, Ewald Hotz, Claudia-Maria Luenig, Bianca Lugmayr, Pavel Schmidt, Franziska Stiegholzer, Markus Strieder, Gerold Tagwerker, Franz Türtscher, Amrei Wittwer

Artenne Nenzing

4. September bis 9. Oktober

Eröffnung 4. September, 11 Uhr

Öffnungszeiten Samstag und Sonntag von 16 bis 19 Uhr sowie bei Veranstaltungen und nach Vereinbarung

Kurator Karlheinz Pichler

Weitere Infos www.artenne.at