Frauensolidarität und Feminismus

HE_Feldk / 18.10.2023 • 15:25 Uhr
Gertraud Klemm, eine bekannte österreichische Autorin, bei der Lesung in der Bibliothek Satteins.bi (5)
Gertraud Klemm, eine bekannte österreichische Autorin, bei der Lesung in der Bibliothek Satteins.bi (5)

Inhaltsstarke Lesung der renommierten Autorin Gertraud Klemm in der Bibliothek Satteins.

lesung Die Bibliothek Satteins unter der Leitung von Margit Brunner Gohm befindet sich nicht nur in der Auswahl der Medien, sondern auch mit ihrem Veranstaltungsprogramm am Puls der Zeit. Dies wurde einmal mehr durch die Lesung der renommierten Autorin Gertraud Klemm in der vergangenen Woche deutlich. Gertraud Klemm studierte Biologie und ist erklärte Feministin, sie zählt zu den bekanntesten österreichischen Gegenwartsautorinnen. So erhielt sie unter anderem im Jahr 2014 ein Wiener Literaturstipendium sowie ein Projektstudium des Ministeriums für Kunst und Kultur, außerdem nahm sie in diesem Jahr am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teil. Für ihren Text Uljjayi setzte sie sich mit dem mit 7000 Euro dotierten Publikumspreis durch. Sie wurde für ihre erfrischende, direkte Sprache und den temperamentvollen, eigenständigen Schreibstil gelobt. Ihr Roman „Aberland“ wurde für die „Books at Berlinale“ ausgewählt und stand auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2015. In „Aberland“, das übrigens am 8. und 9. November in einer Inszenierung durch Maria Fliri und Barbara Herold auf der Kulturbühne Dornbirn zur Aufführung kommt, schildert die Autorin eindringlich das feministische Dilemma ihrer Protagonistinnen. Gertraud Klemm lebt mit ihrer Familie in Pfaffstätten, Niederösterreich.

Aufzeigen von Bruchlinien

Bei der Lesung in der Bibliothek in Satteins stand nun der im Frühjahr erschiedene Roman „Einzeller“ im Vordergrund. Eine zentrale Frage in diesem Werk lautet: Wem gehört der Feminismus? Auf der Suche nach Frauensolidarität seziert Gertraud Klemm in „Einzeller“ das, was vom Feminismus übriggeblieben ist: „Solange wir uns wie Einzeller gebärden, wird das nie etwas mit der Geschlechtergerechtigkeit. Jede Frau ist betroffen, es kommt also auch auf jede an, damit sich Geschlechtergerechtigkeit entwickeln kann.“ Der Buchinhalt lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: In Simone Hebenstreits neuer Wohngemeinschaft versammeln sich fünf Frauen aus verschiedenen Generationen, mit jeweils unterschiedlichen Ansichten. Was sie eint, ist ihr Widerstand gegen den drohenden Rechtsruck. Wahlen stehen an, es werden Herdprämien, Müttergeld und Abtreibungsverbote versprochen. In einem Reality-TV-Format diskutieren die Frauen öffentlich ihre Positionen, und bald zeigen sich die Grenzen zwischen ihnen und ihren feministischen Vorstellungen von Religion, Gender-Identität und Sexarbeit. Während die Frauen sich einander vor laufender Kamera zerfleischen, nimmt die politische Wende unaufhörlich ihren Lauf. Gertraud Klemm gelingt es dabei, schonungslos die Bruchlinien zwischen den verschiedenen feministischen Positionen zu Religion, Gender und Politikverständnis aufzuzeigen. Sie rückt in ihrem Werk die feministische Analyse der zeitgenössischen bürgerlichen Frauenrolle ins Zentrum ihrer Erzählungen.

Überholte Rollenzuschreibungen

Die Debatte um den Feminismus ist aktueller denn je, wie sich gerade in den letzten Wochen zu der neu aufgeflammten politischen Diskussion über Abtreibung gezeigt hat. Gertraud Klemm hat bei ihrer Lesung nicht nur die Zuhörerinnen begeistert, sondern sie gleichzeitig auch zum Nachdenken angeregt. Die nachfolgende Diskussion gestaltete sich aufgrund der Schilderung von persönlichen Erlebnissen und Eindrücken der Autorin, aber auch vonseiten der Besucherinnen sehr lebendig. Es war offensichtlich, dass das Thema Geschlechtergerechtigkeit alle Anwesenden betraf. „Wir können nicht verleugnen, dass noch immer dieselben, bereits als überholt gedachten, Rollenzuschreibungen für Frauen und Mütter, Männer und Väter, unsere Lebensrealität bestimmen. Dies führt bei vielen Frauen zu Überforderung und oft genug zu einem Leben, das nur nach außen hin als glücklich und befriedigend dargestellt wird, weil es so erwartet wird“, betonte Gertraud Klemm.

Kurze Geschichte der Frauenrechte

In der Diskussion wurde deutlich, dass Solidarität auch dadurch entstehen kann, dass zum Beispiel die Geschichte der Frauenrechte ins Bewusstsein gerückt wird – eine leider sehr kurze Geschichte. So meint die engagierte Bibliotheksleiterin: „Gerade junge Menschen erfahren noch immer viel zu wenig darüber, dass beispielsweise Frauen in Österreich noch nicht einmal seit fünfzig Jahren eigenständig entscheiden dürfen, ob sie berufstätig und damit finanziell unabhängig sind oder nicht. Viele wissen zum Beispiel auch nicht, dass sich das Scheidungsrecht sehr stark geändert hat und sich Frauen keineswegs auf existenzsichernde Unterhaltszahlungen oder Pensionsansprüche verlassen können. Diese Rechte wurden hart erkämpft und sind durchaus keine Selbstverständlichkeit.“ BI

Unter den Besucherinnen befanden sich auch Maria Fliri und Barbara Herold.
Unter den Besucherinnen befanden sich auch Maria Fliri und Barbara Herold.

der wandel der frauenrechte

1918 Das Wahlrecht für Frauen wird eingeführt.

1945 Alle Studienrichtungen sind seither auch für Frauen offen.

1975 Frauen dürfen ohne Zustimmung des Mannes arbeiten.

1975 Der Schwangerschaftsabbruch bis zum 3. Monat wird erlaubt.

1976 Mit dem neuen partnerschaftlichen Eherecht ist der Ehemann nicht mehr das Oberhaupt der Familie.

1977 Das Karenzgeld wird erhöht und der Mutterschutz verlängert.

1989 Die Vergewaltigung in der Ehe wird strafbar.

1989 Unverheiratete Mütter werden verheirateten gleichgestellt.

1990 Johanna Dohnal wird erste Frauenministerin.

1990 Die Väterkarenz wird eingeführt.

1993 Das Gleichbehandlungsgesetz tritt in Kraft.

2005 Die Möglichkeit zum freiwilligen Pensionssplitting für Eltern wird geschaffen.