Ein Leben im Kampf gegen die Mafia

Mafia-Gegner Leoluca Orlando war auf Einladung von “ALTER-nativ” im Bildungshaus Batschuns.
Zwischenwasser “Was tust du gegen die Mafia?” Diese Frage hat die Frau von Leoluca Orlando dem besten Maturanten Italiens beim Kennenlernen in der Londoner “Tate Gallery” gestellt, und sie will bis heute wissen, wie er sich gegen das organisierte Verbrechen einsetzt. Davon berichtete der mit bald achtzig Jahren älteste Abgeordnete des Europäischen Parlaments bei seinem Vortrag im Bildungshaus Batschuns. Der aus der Mafia-Hochburg Corleone und einer alten Adelsfamilie stammende Gast hat in seinen fünf Amtszeiten als Bürgermeister von Palermo maßgeblich dazu beigetragen, dass die Hauptstadt der Autonomen Region Sizilien nicht mehr von der Verbrecherorganisation mit zumindest stillschweigender Unterstützung von Beamten, Kirchenleuten, Politikern und Unternehmern regiert wird.

Bei der Vorstellung seiner Person stellte Orlando mehrfach lächelnd fest: “Niemand ist perfekt”. Weil er nicht gleichzeitig stolzer Sizilianer sein und ein freundschaftliches Verhältnis zu Mafiosi haben könne, hat er als Vierzehnjähriger zusammen mit anderen Schülern eines Jesuiteninstituts einen Vortrag gegen die Mafia organisiert. Der freundliche, aber mit dem Mafiaboss gut befreundete Rektor wollte das in einem Gespräch mit den Eltern verhindern, hatte aber keinen Erfolg. Denn der als Unirektor tätige Vater Orlandos hatte einmal die Bitte des Erzbischofs um eine politische Kandidatur abgelehnt, weil er dann Mafiasstimmen bekommen hätte. “Er hat auch meine Vorlesung gestört”, antwortete Jahre später der Papa, als sich andere Professoren über die vom Junior mitgetragenen Proteste beschwerten.

Wegen seines Anti-Mafia-Engagements wurde er vom Bischof als Atheist, vom Ministerpräsidenten als Kommunist beschimpft. Zu den Wahlkampfveranstaltungen des schon lange überaus beliebten Politikers trauten sich die Menschen nicht, aber ihre Stimmen bekam er. Er hat die Ermordung von Weggefährten hinnehmen müssen, ist selber auf der Todesliste ganz oben gestanden und lebt bis heute unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Mit seinen bald achtzig Jahren kämpft der älteste EU-Abgeordnete weiterhin gegen das organisierte Verbrechen, auch in Südamerika. Er war schon zwei Mal unter Beschuss, einmal als Passagier eines Hubschraubers. “Die beste Vorsichtsmaßnahme ist, keine Angst zu haben”, erklärte der prominente Gast der Senioren-Initiative “ALTER-nativ”.

Als Beispiele für Sicherheit berichtete Orlando von Müttern, deren Kinder sich bereit erklärt hatten, in seiner gepanzerten Limousine mitzufahren, um einen stark zu befürchtenden Mordanschlag zu verhindern. Das ließ er zwar nicht zu, aber allein schon die Bereitschaft von wichtigen Teilen der Bevölkerung zum Widerstand gegen die Mafia ließ die Mehrheit der Bosse davor zurückschrecken. Sicherheit habe er “durch eine andere Vision von der Welt” und eine kulturelle Veränderung nach Palermo gebracht. Sehr wichtig sei die Prävention bei der Jugend.

Durch das Ausstellen von Meldebestätigungen für Flüchtlinge (“Leben ist nicht illegal, Töten ist illegal!”) in Palermo hat er sie auf seine Seite gezogen. Deshalb informierten Muslime ihn über die Ankunft islamistischer Terroristen und meiden diese die Stadt seither. Als es einmal für den Transport von vier nigerianischen Mafiosi eingesetzte Polizisten zu schützen galt, geschah das durch einen Flashmob von zweihundert Nigerianern. “Die mussten anschließend ohne Polizeischutz in ihre Häuser zurück, in denen Verwandte von Mafiosi lebten”, betonte der von viel Humor und Leidenschaft geprägte Gast. Immigranten würden uns “daran erinnern, dass wir alle Menschen sind”. AME


