Brückenschlag

Immo / 07.04.2016 • 13:11 Uhr
Brückenschlag

Architekturkonzepte für Räume der Gastlichkeit sind begehbare Visitenkarten, die stark mit Emotionen verknüpft sind. In der Planung gilt es, das Credo der Wirtsleute in eine stimmige architektonische Sprache umzusetzen und eine Ausgewogenheit von Form und Funktion zu finden. Dabei spielt die Größe des Projekts eine untergeordnete Rolle. Ein Beispiel aus Bludenz demonstriert, dass dies auch mit wenigen Mitteln umgesetzt werden kann. Autorin: Catherine Sark | Fotos: Petra Rainer

m Kopfende der Kirchgasse, eingebettet im historischen Bestand der Bludenzer Altstadt, befindet sich im Erdgeschoß eines Wohn- und Geschäftshauses das Mizzitant.

Dezent gibt ein blauer Schriftzug auf braunem Gewand dem Betrachter einen ersten Hinweis darauf, dass den Räumen hinter den alten Mauern wieder neues Leben eingehaucht wurde. Denn die Räumlichkeiten im Haus, deren rege Geschichte weit über die Jahrhunderte zurückreichen, haben mit den unterschiedlichsten Betreibern schon so einige Transformationsprozesse durchlebt und standen zuletzt sogar leer. Aber was bedeutet eigentlich Mizzitant? „Das ist in Ostösterreich der Kosename für die Tante Maria.

Für mich bedeutet dieser Begriff jedoch mehr. Er weckt für mich die Assoziation zu etwas Heimeligem, Naturbelassenem und Hausgemachtem“, so Inhaberin Denise Amann. Und genau dies sollte in einem angemessenen Ambiente umgesetzt werden. „Zusätzlich wollte ich eine Linie fahren, die es mir erlaubt, meiner Leidenschaft nachzugehen und trotzdem genügend Freiheit lässt, mich ausreichend um meine Tochter zu kümmern“. Unterstützung für ihr Vorhaben fand die Gastronomin nicht zuletzt von dem mit ihr befreundeten Archi­tektengeschwisterpaar Ursula und Marcus Ender, die sie auf der Suche nach den dafür geeigneten Räumlichkeiten begleiteten. Das Lokal durfte wegen des kleinen Budgets nicht zu groß, aber auch nicht zu klein sein, damit sich das Konzept auch wirtschaftlich rentiert. Der Leerstand im Erdgeschoß der Kirchgasse 12 schien dafür passend – beherbergte er doch auf insgesamt 45 m2 die bereits notwendige Infrastruktur für einen Gastronomiebetrieb. Allerdings musste vor allem am Erscheinungsbild des in die Jahre gekommenen Gastraums gearbeitet werden. Deswegen wurde zuerst einmal alles ausgeräumt und teilweise bis auf die Substanz rückgebaut.

Es brauchte nicht viele Treffen, bis der Entwurf für das neue Lokal stand und mit den Umbauar­beiten begonnen werden konnte. Bauherrin und das Architektenduo fanden schnell eine gemeinsame Lösung. Mit we­nigen Mitteln und einer reduzierten Materialpalette wurde versucht, die Ambitionen der Gastronomin umzusetzen. Alles, was es dafür an nötigen Eingriffen brauchte, wurde mit viel Feingefühl und Detailliebe umgesetzt. So erhielt das bestehende Fenster eine trichterförmige weiße Laibung, um mehr Tageslicht ins Rauminnere zu leiten und den kleinen Raum optisch zu vergrößern. Ein vom Atelier Ender entworfener Wandschrank neben der Eingangstür wirkt durch seine Verkleidung mit Gipskarton wie ein schon immer dagewesener Wandvorsprung. Subtil bildet er ein kleines Foyer im Gastraum und dient gleichzeitig als Windfang.

Der gesamte Innenraum ist in grüne Naturpigmentfarbe getaucht, die die Bauherrin unter Anleitung des Malers selbst im Kreuzgang an Gewölbedecke und Wänden aufgetragen hat. Der Estrichboden erhielt eine dunkle, pflegeleichte Zwei-Komponenten-Beschichtung, die jeweils an den stirnseitigen Wandflächen hochgezogen ist, um dem Raum mehr Tiefe zu geben. Alle Einbaumöbel stammen aus der Feder von Ursula und Marcus Ender und sind aus geölter Eiche. Wo einst eine Garderobe war, ersetzt nun ein Gläserschrank mit einer Front aus Tafellack die herkömmliche Speisekarte und ist für jeden Gast gut einsehbar.

Zentrales Gestaltungselement ist jedoch eine geschwungene Lamellendecke aus 32 beschichteten Holzplatten. Diese kaschiert die bislang unterschiedlichen Höhen der Bestandsdecken und bildet durch ihre wellenartige Untersicht einen sanften Brückenschlag zwischen Gastraum und offener Küche. Durch den dazwischenliegenden Akustikschaum wirkt sie überdies schallbrechend und sorgt für einen angenehmen Klang im Raum. Zudem beherbergt sie alle Leuchten in Form von dimmbaren Spots, die den Fokus auf die dort servierten Speisen und Getränke richten.

Die Architektin Ursula Ender und der Architekt Marcus Ender haben einen gekonnten Spagat zwischen Form und Funktion geschaffen. Das Mizzitant zeigt, dass auch mit wenigen, durchdachten Lösungen Atmosphäre erzeugt werden kann. Auf 20 m2 bietet der Gastraum Platz für 16 Gäste und leistet einen qualitätsvollen Beitrag zur Belebung der innerstädtischen Erdgeschoß-
zone. Das Lokal hat eine natürliche Atmosphäre und wirkt intim und heimelig. Ein passender Rahmen für das hausgemachte kulinarische Angebot.

Viele Bauherren haben keinen Mut zur Farbe. Dabei darf sie ruhig öfters eingesetzt werden. Besonders, wenn mit wenigen Mitteln eine Atmosphäre geschaffen werden soll.

Holzlamellen nehmen dem kleinen Gastraum die bislang ungemütliche Überhöhe und bilden einen sanften Brückenschlag zwischen den räumlich benachbarten Funktionen Kochen und Essen.

Holzlamellen nehmen dem kleinen Gastraum die bislang ungemütliche Überhöhe und bilden einen sanften Brückenschlag zwischen den räumlich benachbarten Funktionen Kochen und Essen.

Belebte Erdgeschoßzone Durch die Nutzung bereits vorhandener Infrastruktur konnte das Mizzitant einen qualitätsvollen Beitrag zur Wiederbelebung von leerstehenden Flächen in der Innenstadt leisten.

Belebte Erdgeschoßzone Durch die Nutzung bereits vorhandener Infrastruktur konnte das Mizzitant einen qualitätsvollen Beitrag zur Wiederbelebung von leerstehenden Flächen in der Innenstadt leisten.

Das Holz für die Tisch­platten stammt noch aus dem vorigen Lokal der Bauherrin. Die Platten wurden neu zugeschnitten, montiert und geölt.

Das Holz für die Tisch­platten stammt noch aus dem vorigen Lokal der Bauherrin. Die Platten wurden neu zugeschnitten, montiert und geölt.

Um dem Gastraum mehr Tiefe zu verleihen, wurde die dunkle Farbe des Bodens an den stirnseitigen Wand-flächen hochgezogen.

Um dem Gastraum mehr Tiefe zu verleihen, wurde die dunkle Farbe des Bodens an den stirnseitigen Wand-

flächen hochgezogen.

Die Decke dient nicht nur als Gestaltungselement. Sie sorgt auch für eine angenehme Akustik und beherbergt die Leuchten für das Licht über den Tischen.

Die Decke dient nicht
nur als Gestaltungselement.
Sie sorgt auch für eine angenehme Akustik und beherbergt die Leuchten für das Licht über den Tischen.

Das Haus war früher ein Teil der mittelalterlichen Befestigung und hat über die Jahre schon einige bauliche Veränderungen hinter sich.

Das Haus war früher ein Teil der mittelalterlichen Befestigung und hat über die Jahre schon einige bauliche Veränderungen hinter sich.

Die grüne Naturpigmentfarbe wird aus dem grau-grünen Stein des Monte Baldo bei Verona gewonnen. Die indirekte Beleuchtung sorgt für angenehme Licht- und Schattenspiele und macht die Wand lebendiger.

Die grüne Naturpigmentfarbe wird aus dem grau-
grünen Stein des Monte Baldo bei Verona gewonnen. Die indirekte Beleuchtung sorgt für angenehme Licht- und Schattenspiele und macht die Wand lebendiger.

Inhaberin Denise Amann leistet mit dem Mizzitant ei­nen qualitätsvollen Beitrag zur Belebung der Innenstadt.

Inhaberin Denise Amann leistet mit dem Mizzitant ei­nen qualitätsvollen Beitrag zur Belebung der Innenstadt.

Glücklicher Zufall Durch den Rückbau des Einfahrtsbereichs beim Oberen Tor wurde der Gehsteig vor dem Restaurant verbreitert und bietet den Gästen im Sommer genügend Platz, um im Freien zu sitzen.

Glücklicher Zufall Durch den Rückbau des Einfahrtsbereichs beim Oberen Tor wurde der Gehsteig vor dem Restaurant verbreitert und bietet den Gästen im Sommer genügend Platz, um im Freien zu sitzen.

Brückenschlag