Erbe weiterbauen

Immo / 03.11.2016 • 14:03 Uhr
Erbe weiterbauen

Nach dem Motto „Die Vergangenheit bewahren, die Gegenwart leben, für die Zukunft bereit sein“ wird die Propstei St. Gerold in mehreren Etappen mit großem Respekt vor dem baulichen Erbe einfühlsam und unaufdringlich saniert. Zeitgemäß und zeitlos zugleich treffen alte und neue Bausubstanz aufeinander. Autorin: Julia Ess | Fotos: Darko Todorovic

eit mehreren Jahrzehnten ist die Propstei St. Gerold im Großen Walsertal als ein beliebter Ort der Einkehr und Begegnung weit über die Grenzen Vorarlbergs bekannt. Die historische Bausubstanz der Anlage geht auf das 12. Jahrhundert zurück und erfuhr in den folgenden Jahrhunderten mehrfach Erweiterungen und Umbauten, zuletzt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In den 1960er-Jahren wurde die Propstei unter Pater Nathanael Wirth umfassend renoviert und zu der offenen Begegnungsstätte umgestaltet, die sie heute ist. Bildungs- und Seminarhaus, Kulturzentrum, Herberge und Bio-Landwirtschaft ziehen alljährlich Tausende Gäste und Besucher an. All diese Angebote bilden das betriebswirtschaftliche Fundament der Propstei, die zum Kloster Einsiedeln gehört. Damit allerdings der Betrieb der über Jahrhunderte gewachsenen Anlage gesichert werden kann, sind umfassende Sanierungsmaßnahmen notwendig geworden. Propst Kolumban Reichlin kam 2009 nach St. Gerold und begleitet den Planungs- und Bauprozess von Beginn an. Neben einer Anpassung von Gastronomie und Herberge an heutige Bedürfnisse, besteht vor allem Sanierungsbedarf bei der unzureichenden Seminarinfrastruktur und der veralteten Haustechnik, die hohe Erhaltungs- und Betriebskosten verursacht. In sechs Etappen, bei laufendem Betrieb, ist eine schrittweise Gesamtsanierung der Anlage nach Plänen des Architekturbüros Hermann Kaufmann vorgesehen.

Im Zentrum der bereits abgeschlossenen ersten Sanierungsetappe stand die Erneuerung der Gastronomie. Dabei wurden die beiden Küchen und alle Speiseräume aus Gründen der Wirtschaftlichkeit an einem Ort zusammengefasst. In den Räumlichkeiten der ehemaligen Remise und des alten Pferdestalls aus dem Jahr 1683 werden nun interne und externe Gäste bewirtet. In einem angegliederten Neubau aus Holz findet eine neue Küche im Erdgeschoß Platz, im Obergeschoß sind Mitarbeiterräume und Büro untergebracht. Talseitig
wurde außerdem eine neue Terrasse errichtet, die bei schönem Wetter als Gastgarten genutzt werden kann. Hausgästen steht die Geroldsstube im einstigen Stallgebäude als Speisesaal zur Verfügung. Auswärtige Gäste können in der Remise à la carte essen und trinken. Angeschlossen ist ein neuer Klosterladen, der – unterirdisch liegend – über zwei Stockwerke reicht und von oben natürlich belichtet wird. Über der Geroldsstube befindet sich der Spycher-Saal, der für Feiern von bis zu 70 Personen gemietet werden kann. Ursprünglich als Heuboden über dem Pferdestall genutzt und baulich weitgehend unverändert, blieb hier sowohl der originale Kalkputz als vor allem auch der historische Dachstuhl erhalten. Um den imposanten Dachstuhl sichtbar belassen zu können, wurde das Dach um 45 cm angehoben und die Dämmung über den Sparren angebracht.

Als Verteilerpunkt des Gebäudetrakts dient das neue Foyer im ehemals offenen Durchgang zwischen Kuhstall und Herberge. Vom Parkplatz aus gelangen externe Gäste hier über den öffentlichen Zugang zu den Räumlichkeiten der Gastronomie und in den ebenfalls neu gestalteten Propsteihof. Der im Freien liegende Hauptzugang ist nun auf den Hof ausgerichtet und barrierefrei ausgeführt. Ein neuer Brunnen mit Sitzbank lädt zum Verweilen vor dem Haupthaus und der Kirche ein.

Die Materialisierung ist sehr schlicht und zurückhaltend – wenige Materialien und Farben. Holz als natürliches, regionales Material gelangt vielfältig zum Einsatz. Eindrucksvolle neun Meter lange Fichtendielen bilden den Boden der Geroldsstube. Die Decken der Gasträume und des Ladens sind ebenfalls aus Fichtenlamellen. Alle weiteren Böden, Decken, Wandverkleidungen und Möbel sind aus Eschenholz, das zu 60 Prozent aus dem eigenen Propsteiwald stammt. Die Holzböden in der Gastronomie und den Herbergszimmern sind allesamt sägerau und unbehandelt. Die Entscheidung, die Holzböden unbehandelt zu lassen, erfolgte nach ausgiebigen Diskussionen im Bauausschuss und Besichtigungen mehrerer Projekte im Bregenzerwald – Gespräche mit Nutzerinnen, Nutzern und Reinigungskräften beseitigten anfängliche Zweifel.

Seit Oktober finden die Arbeiten der zweiten Etappe statt, welche die Adaptierung der Herberge an heutige Bedürfnisse umfasst. Dabei werden neun bestehende Zimmer saniert und acht neue Einzel- und Doppelzimmer im Dachbereich errichtet. Im Bereich des ehemaligen Klosterkellers werden ein Seminarraum und Ausstellungsräume geschaffen. Als dritter Schritt ist die Sanierung des Riegelbaus aus dem Jahr 1696 geplant, in dem Dienstwohnungen entstehen. Anschließend sollen das Haupthaus, das „Wyberhus“ und die Kirche saniert werden.

Die Epochen und Stile der vergangenen Jahrhunderte haben alle ihre Spuren in St. Gerold hinterlassen und ein kulturell wertvolles Ensemble geschaffen. Weiterbauen am historischen Erbe bedeutet hier Zukunft gestalten durch einen respektvollen Umgang mit dem baulichen Bestand und zeitgemäße wie zeitlose architektonische Eingriffe.

Die Gäste sind begeistert, wie das Neue mit dem Alten korrespondiert und gut zusammenpasst. Die klaren, schlichten Formen und das natürliche Material Holz schaffen angenehme Räume.

In der Remise werden externe Gäste bewirtet. Über ein Panoramafenster öffnet sich der Raum in Richtung Hof. Fichtenlamellen bilden eine schlichte Akustikdecke mit integrierter Beleuchtung und Lüftung.

In der Remise werden externe Gäste bewirtet. Über ein Panoramafenster öffnet sich der Raum in Richtung Hof. Fichtenlamellen bilden eine schlichte Akustikdecke mit integrierter Beleuchtung und Lüftung.

Das freigelegte Bruchsteinmauerwerk aus dem Jahr 1683 trennt die Geroldstube (hinten) von der Remise (vorne).

Das freigelegte Bruchsteinmauerwerk aus dem Jahr 1683 trennt die Geroldstube (hinten) von der Remise (vorne).

Eindrucksvolle neun Meter lange Fichtendielen bilden den Boden der Geroldsstube. Die Fichte stammt aus einem Waldstück bei Zürich, das die ETH Zürich als Lehr- und Forschungswald nutzte.

Eindrucksvolle neun Meter lange Fichtendielen bilden den Boden der Geroldsstube. Die Fichte stammt aus einem Waldstück bei Zürich, das die ETH Zürich als Lehr- und Forschungswald nutzte.

Die Materialisierung ist sehr schlicht und zurückhaltend – wenige Materialien und Farben. Holz als natürliches, regionales Material gelangt vielfältig zum Einsatz.

Die Materialisierung ist sehr schlicht und zurückhaltend – wenige Materialien und Farben. Holz als natürliches, regionales Material gelangt vielfältig zum Einsatz.

Der Zugang hinab in die Gastronomie ist sehr hell und transparent gestaltet. Tageslicht gelangt über Dachfenster in den Stiegenabgang. Ein- und Ausblicke weiten das Foyer.

Der Zugang hinab in die Gastronomie ist sehr hell und transparent gestaltet. Tageslicht gelangt über Dachfenster in den Stiegenabgang. Ein- und Ausblicke weiten das Foyer.

Der über zwei Stockwerke reichende Klosterladen wird von oben natürlich belichtet. Die raumhohen Glasflächen sind mit Sätzen aus der Benediktsregel in deutscher und lateinischer Sprache bedruckt. Bei der digitalisierten Handschrift handelt es sich um eine karolingische Minuskel aus dem Jahr 900 – Beneventana.

Der über zwei Stockwerke reichende Klosterladen wird von oben natürlich belichtet. Die raumhohen Glasflächen sind mit Sätzen aus der Benediktsregel in deutscher und lateinischer Sprache bedruckt. Bei der digitalisierten Handschrift handelt es sich um eine karolingische Minuskel aus dem Jahr 900 – Beneventana.

Ursprünglich als Heu-boden über dem Pferdestall genutzt und baulich weitgehend unverändert, blieb im Spycher-Saal sowohl der originale Kalkputz als vor allem auch der historische Dachstuhl erhalten.

Ursprünglich als Heu-

boden über dem Pferdestall genutzt und baulich weitgehend unverändert, blieb im Spycher-Saal sowohl der originale Kalkputz als vor allem auch der historische Dachstuhl erhalten.

Im Gespräch mit Propst Kolumban Reichlin und Projektleiter Stefan Hiebeler aus dem Büro Hermann Kaufmann.

Im Gespräch mit Propst
Kolumban Reichlin und Projektleiter Stefan Hiebeler aus dem Büro Hermann Kaufmann.

Gastronomie Die erste Sanierungsetappe fokussierte auf die Zentralisierung der Gastronomie in den Räumlichkeiten des ehemaligen Pferdestalls mit Remise.

Gastronomie Die erste Sanierungsetappe fokussierte auf die Zentralisierung der Gastronomie in den Räumlichkeiten des ehemaligen Pferdestalls mit Remise.

Propsteihof Ein neuer Brunnen mit Sitzbank lädt zum Verweilen vor dem Haupthaus und der Kirche ein.

Propsteihof Ein neuer Brunnen mit Sitzbank lädt zum Verweilen vor dem Haupthaus und der Kirche ein.

Zugang Der im Freien liegende Hauptzugang ist nun auf den Hof ausgerichtet und barrierefrei ausgeführt. Der Riegelbau (rechts) aus dem Jahr 1696 soll in der nächsten Sanierungs-etappe saniert werden.

Zugang Der im Freien liegende Hauptzugang ist nun auf den Hof ausgerichtet und barrierefrei ausgeführt. Der Riegelbau (rechts) aus dem Jahr 1696 soll in der nächsten Sanierungs-
etappe saniert werden.