In die Höhe gebaut

Immo / 01.12.2016 • 13:00 Uhr
In die Höhe gebaut

Es ist kein einfaches Thema. Einfamilienhäuser sind 2016 kein Ausdruck der „Unschuld“ mehr. Was Einfamilienhäuser an ihren jeweiligen Standorten noch leisten können, ist vor allem eine kulturelle Frage. Ein Lokalaugenschein in Batschuns. Autorin: Verena Konrad | Fotos: Stefan Hauer

ie Wohnform des Einfamilienhauses hat den höchsten Flächen- und Ressourcenverbrauch, was sich auch in Kosten für Erschließung und erhöhtem Verkehrsaufkommen niederschlägt. Auch wenn das Bewusstsein für die ökologische und volkswirtschaftliche Problematik tendenziell etwas steigt, nimmt die Geschwindigkeit der Versiegelung nur langsam ab. Gemeint ist damit die Quadratmeterzahl an asphaltierter Fläche. In Österreich liegt der Schnitt bei ca. 30 Fußballfeldern pro Tag. Dennoch: das Einfamilienhaus bleibt der Wohntraum für einen Großteil der Bevölkerung in Österreich, ist der prägendste Bautypus hierzulande, auch oder besonders in Vorarlberg. Problematisch ist dabei nicht der Wunsch nach einem eigenen Heim, auch nicht die eigene Wohnsozialisation, sondern die Folgen, die das Handeln des Einzelnen auf die gesamte Bevölkerung hat. Mit dieser Argumentation ist es schwer, dem Einfamilienhaus auch positive Werte beizumessen, die es dennoch sehr wohl gibt. Es gibt Siedlungsgebiete, in denen der Maßstab dieser Form der Bebauung durchaus verträglich ist. Sozial zumindest und auch baukulturell. Ökologisch nicht. Selbst das energieeffizienteste Einfamilienhaus bleibt ein Sündenfall, was Ressourcenverbrauch betrifft. Ein vorsichtiges und ehrliches Abwägen ist daher wichtig. Planung mit Sinn, mit dem Blick auf zukünftige Nutzungsmöglichkeiten, auf Ressourcenschonung, auf Werte, die über den Einzelnen hinaus weisen. Das alles ist und bleibt keine einfache Übung. Nicht für Menschen, die sich ein Eigenheim errichten wollen, nicht für Planer(innen), die diesen mit Fachwissen assistieren, nicht für Behörden, die fördern, zulassen oder verweigern können, nicht für den öffentlichen Diskurs, der zwischen Einzel- und Allgemeininteresse unterscheiden lernen muss. Kurz: das Einfamilienhaus ist zum Bild für die komplexe Aufgabe des Ausgleichs geworden.

Als Architekturinstitut fragen wir nach dem, was gute Einfamilienhäuser ausmacht. Nach dem, was sie kulturell und sozial für gelingendes Zusammenleben an ihrem Standort beitragen, auf welchem Pflaster sie sich beweisen können. Ein Großteil der Bauproduktion tut sich dabei nicht besonders hervor. Es sind wenige Beispiele mit spezifischen Aspekten, die wir Ihnen hier vorstellen. Mit Qualitäten, die wir zeigen wollen zur Inspiration. So auch das Haus von Familie S., die sich in Batschuns niedergelassen hat. Einer kleinen Ortschaft im Gemeindegebiet von Zwischenwasser. Circa 1000 Menschen leben hier, in verstreuten Lagen. Einfamilienhäuser dominieren das Ortsbild neben landwirtschaftlichen Infrastrukturen.

Die Gemeinde Zwischenwasser ist als „Baukulturgemeinde“ bekannt. Die Termine des Gestaltungsbeirates veröffentlicht die Gemeinde vorbildlich auf der Website mit ankündigtem Lokalaugenschein. Auch das Projekt der Familie S. war begleitet durch diesen Beirat. Der erste Entwurf wurde dort kritisch diskutiert, lokale Problemstellungen erkannt. Erst danach bat die Familie Judith Wellmann und Martin Ladinger um neue Ansätze. „Der Familie war Architektur wichtig. Auch die Argumente des Gestaltungsbeirates trafen auf Verständnis. Die Haltung, etwas Gutes machen zu wollen und offen zu sein für Anregungen war hier deutlich spürbar und auch für uns sehr wertvoll“, erzählt Martin Ladinger. Die Lage im Hang, zur Straße hin machte im Baumassemodell auch auf vier Geschoßen Sinn. „Wir haben die Form vorab mit dem Gestaltungsbeirat und der Gemeinde diskutiert und hier eine positive Rückmeldung bekommen. In dieser Lage, in genau diesem Kontext, konnte die Gemeinde unserem Grundgedanken zustimmen. Wir verbrauchen dadurch weniger Grund, gehen in die Höhe, ein Teil des Gebäudes ist von der Straßenseite nicht einsehbar. Das Gefälle des Grundstückes gibt dies vor“, beschreibt Judith Wellmann ihr Vorgehen. Die Architekt(inn)en haben für die Bauherrschaft ein zeitgenössisches Bauwerk mit monolithischem Körper entwickelt. Türen und Fenster strukturieren das Gebäude, das sich dem Gelände anpasst. Über eine steile Einfahrt geht der Weg zu Eingangssituation und integrierter Garage, die auf ihrem Dach eine Außenterrasse trägt. Klare Linien bestimmen den Entwurf, eine durchgängige Materialität aus gestocktem Beton die Außenwirkung. Die Innenräume zeigen sofort eine Affinität zu Gestaltung und vor allem zur Lichtqualität. Nicht umsonst, denn der Bauherr ist selbst Designer und im gestalterischen Umfeld tätig. Die Wohnkultur im Inneren der Räume zeigt die Aufgeschlossenheit ihrer Bewohner(innen) – gesellig, unkompliziert, pragmatisch, klar. Mit Sinn für Details, vor allem aber offen für alles, was noch kommen mag, präsentiert sich der Innenraum als Klammer des Familien-
lebens. Mit offenen Raumstrukturen und Privatheit, dort, wo sie gewünscht ist. Die Decken und Wände sind in Sichtbeton gehalten, dazwischen ist Weißtannentäfer verarbeitet worden. Die haptisch-sinnlichen Qualitäten eines Holzbodens sind im Bereich des Wohnens präsent. Ein Estrich-Boden erleichtert in manchen Bereichen den Alltag mit Strapazierfähigkeit. Nein, Vorarlberg wird nicht urban mit einem weiteren Einfamilienhaus. Aber es wird urbaner durch ein Wohnumfeld der Vielfalt. Und Batschuns hat ein zeitgenössisches Ausrufezeichen mehr. Auch das ist ein Wert, der Freude macht.

Sichtbeton, Weißtanne, Kalkglätte – wir haben schlichte Materialien gewählt, die haptische Qualitäten besitzen.

In die Höhe gebaut
In die Höhe gebaut
In die Höhe gebaut
Schlichte Frontalansicht. Jede Seite des Gebäudes offenbart eine neue Form.

Schlichte Frontalansicht. Jede Seite des Gebäudes offenbart eine neue Form.

Differenzierte Höhe.Straßenseitig wirkt das Gebäude dreigeschoßig. Das vierte Geschoß ist für Passant(inn)en kaumwahrnehmbar.

Differenzierte Höhe.

Straßenseitig wirkt das Gebäude dreigeschoßig. Das vierte Geschoß ist für Passant(inn)en kaum

wahrnehmbar.

Traumhafter Ausblick vom Wohnraum aus. Die Wände sind in Weißtanne gehalten, am Boden Estrich, die Decke ist in Sichtbeton gehalten.

Traumhafter Ausblick vom Wohnraum aus. Die Wände sind in Weißtanne gehalten, am Boden Estrich, die Decke ist in Sichtbeton gehalten.

Musik, Literatur, Familienleben. Das Haus der Familie S. ist ein durchlässiger, offener Ort mit herzlicher Atmosphäre.

Musik, Literatur, Familienleben. Das Haus der Familie S. ist ein durchlässiger, offener Ort mit herzlicher Atmosphäre.

On Top. Vom Elternschlafzimmer und dem Bad mit Sauna geht es auf eine Dachterrasse mit Rundumblick.

On Top. Vom Elternschlafzimmer und dem Bad mit Sauna geht es auf eine Dachterrasse mit Rundumblick.

Sanfter Knick im Innenraum kaum wahrnehmbar, ist der Bruch, durch den die feine Linie an der Oberfläche entsteht, Teil der skulpturalen Gestalt des Gebäudes.

Sanfter Knick im Innenraum kaum wahrnehmbar,
ist der Bruch, durch den die feine Linie an der Oberfläche entsteht, Teil der skulpturalen Gestalt des Gebäudes.

Hanglage. Das Gebäude schneidet sich in den Hang ein. Die Höhe des Gebäudes ist in Auseinandersetzung mit der Topografie und der Kubatur der umliegenden Gebäude entstanden.

Hanglage. Das Gebäude schneidet sich in den Hang ein. Die Höhe des Gebäudes ist in Auseinandersetzung mit der Topografie und der Kubatur der umliegenden Gebäude entstanden.

Genau gesetzte Lichtzubringer strukturieren das Gebäude von außen und steuern den Blick von innen.

Genau gesetzte Lichtzubringer strukturieren das Gebäude von außen und steuern den Blick von innen.