Architekturgeschichte

Feldkirch. Städtische Ensembles sind Erzählungen, die über Generationen weitergegeben werden. Wie ein Text formt der Zusammenhang der Häuser die Geschichte einer Stadt. Daran zu arbeiten, den Stoff zu aktualisieren und lebendig zu halten, das ist eine große Verantwortung – und eine großartige Chance für gute Architektur. Autor: Tobias Hagleitner | Fotos: Benno Hagleitner
ie Neustadt ist ihrem Namen zum Trotz der älteste Teil der Feldkircher Innenstadt. Sie entstand zu Beginn des 13. Jahrhunderts als Hugo I. von Montfort seinen Sitz von Bregenz nach Feldkirch in die Schattenburg verlegte. Unmittelbar am Fuß der hochmittelalterlichen Festung, als prominenter Schlusspunkt für den Neustädter Straßenzug vom Dom-
platz Richtung Burg, steht die sogenannte „Alte Dogana“. Die Architekten Bernhard und Stefan Marte haben das Haus im Vorjahr erworben, sorgsam erneuert und im vergangenen Sommer ihren Firmenstandort von Weiler hierher verlegt. Für die lange und wechselvolle Geschichte, die das Haus erzählen kann, zeigen die beiden Brüder viel Respekt und Sinn. „Für uns ist das ein Glücksfall, weil wir seit jeher große Fans von solchen Gebäuden sind,“ schwärmt Bernhard Marte für die Qualitäten historischer Substanz: „Es wird von selber gut, weil es schon bisher gut gewesen ist.“
Die Anfänge des Hauses Neustadt 37 liegen um etwa 1500, als der wohlhabende Bürger Ulrich Putsch, Kammerdiener und Barbier dreier Kaiser (Friedrich III., Maximilian I. und zuletzt Karl V.), hier residierte. Damals war es noch ein Holzhaus auf massivem Sockel. Etwas später gelangte es in
Besitz der Stadt, war Kanzlei und Landesarchiv. Mehr als ein halbes Jahrhundert wurde es dann als Hauptschule genutzt. Um 1840 zog das Zollamt ein, was das Erbe des Namens „Dogana“ erklärt, womit ursprünglich das ehemalige Zollhaus in der Nachbarschaft gemeint war, das es seit 1919 nicht mehr gibt. Im frühen 20. Jahrhundert wurde an der Adresse abwechselnd gewohnt, ausgestellt oder gelernt. In den 50er-Jahren mieteten sich erneut Finanzbehörden ein, ab 1984 bis zuletzt nutzten unterschiedliche Vereine das Objekt.
Die heutige Form der „Alten Dogana“ hat sich im Wesentlichen durch Baumaßnahmen im 17. und 18. Jahrhundert ergeben. „Die Struktur haben wir fast nicht angegriffen, nur ein bisschen aufgefrischt“, beschreiben die Architekten ihr bewährtes Konzept der Reduk-
tion auf das Wesentliche. Nur die Wandeinbauten, die seit geraumer Zeit das Stiegenhaus vom Rest der Flächen abgetrennt hatten, wurden abgerissen. Die nunmehr fließenden Übergänge von der Treppe in die Mittelflure und weiter in die daran anschließenden Zimmer kommen der Nutzung als offenes Architekturbüro über fünf Etagen sehr entgegen. Die einzige architektonische Erweiterung findet sich hingegen am Dach. Durch einen großen Trichter aus Stahl kommt Licht in die beiden Mansardgeschoße. Seine abgetreppte Geometrie dient innen als Stiege vom dritten in den vierten Stock, außen am Dach ergibt sich eine gedeckte Terrasse mit exklusiver Perspektive auf die Schattenburg.
Ansonsten wurde mit dem gearbeitet, was schon da war. Das war das edle Gesicht des Hauses, die Fassade, deren blauer Anstrich und Zementmörtel abgewaschen wurden. Stattdessen sorgt Kalkputz nun für noble Blässe. Das waren gut geschnittene Räume von großer Klarheit, die mit hochwertigen Naturfarben in besonders feines Weiß getaucht wurden. Das waren die dunkel gebeizten Hölzer der Vertäfelungen, Fenster und Geländer, die mit den neu eingebauten Böden aus dunkel geräucherter Eiche optimal ergänzt wurden. Die Entscheidung, alle Installationen und die Heizung im Boden verschwinden zu lassen, trägt zusätzlich zur angenehm aufgeräumten Atmosphäre bei. Auch fix installierte Lichtsysteme an der Decke gibt es nicht, schon gar keine Rasterleuchten, um vermeintlich ideale „Büroverhältnisse“ zu schaffen. Stattdessen entwickelten die Architekten eine eigene Leuchte. Sie besteht aus einem vom Schlosser präzise gearbeiteten Hüllkörper aus Schwarzstahl, der eine LED-Lichtleiste trägt. Diese „Fackeln“ können an die Wand gelehnt, auf den Boden oder Tisch gelegt, durch ein einfaches Stecksystem auch zur Wand- oder Schreibtischleuchte werden. Sie erfüllen den Zweck eines ordentlichen Arbeitslichts, wo immer es gebraucht wird, sorgen aber insgesamt für eine zurückhaltende, nuancenreiche Lichtstimmung, die der Würde des Hauses entspricht und seine Geschichte wirken lässt.
Das Gebäude gibt es seit 600 Jahren. Selbst wenn wir zwei oder drei Jahrzehnte hier sind, ist das nur ein Moment.

Der „Trichter“ durchdringt Decke und Dach. Er bringt Licht in die Mansardgeschoße und dient als schwebende Aufstiegshilfe vom dritten in den vierten Stock.

Die skulpturale Ergänzung schafft außerdem ein paar Quadratmeter geschützte Terrassenfläche mit ungewohntem Blick auf das Feldkircher Wahrzeichen.

Die Nachbarschaft der Schattenburg gefällt den Brüdern Marte. Sie haben eine Leidenschaft für mittelalterliche Bauten, ihre Schwere und Einfachheit. Die „Alte Dogana“ ist nicht ganz so alt wie das Schloss, aber geschichtlich und gewichtig allemal.

So schön kann Mittag im Büro sein: Wo früher Schmuggelware eingesperrt war,
sind heute Küche und Saal für gemeinsame Aktivitäten der Belegschaft. Nicht zuletzt wegen des Gewölbes herrscht im Erdgeschoß beinah
klösterliches Ambiente.

Wer an die Tatkraft
Heiliger glaubt, kann vom
ältesten Mitarbeiter sprechen: Der heilige Nepomuk hat in der Neustadt 37 allerdings schon länger seinen Ehrenplatz. Früher stand er auf der
Heiligkreuzbrücke.

Das Gebäude hat einen typisch symmetrischen Mittelflur-Grundriss mit breitem Gang und seitlich angegliederten Zimmern. Durch wenige Wandabrisse und das Öffnen der Türen entsteht eine zusammenhängende Raumfolge durch das gesamte Haus.

Ganz reduziert ist die Materialisierung. Weiß getünchte Wände und Decken, Holzteile wurden original erhalten, der neue Boden ist aus geräucherter Eiche. Die Tischlampe ist eine Variation der „Fackel“, einer eigens entwickelten Lichtleiste aus Schwarzstahlblech.

Die Brüder Stefan und Bernhard Marte (rechts) sind als marte.marte architekten ein international bekanntes Architektenduo. Die alte Bürostruktur im elterlichen Haus in Weiler war längst zu klein geworden. Jetzt gibt es neuen Entfaltungsraum mitten in der Stadt.

Das Stadtbild der Feldkircher Innenstadt gehört zu den besonders geschützten Kulturgütern in Österreich. Es will bewahrt und gepflegt, aber auch belebt und erneuert werden. In diesem Fall durch ein Architekturbüro mit dreißig Leuten.

Die Architektur ist zurückhaltend und bringt dem historischen Gebäude den nötigen Respekt entgegen. Der einzige größere Eingriff ist der Lichttrichter im Dach. Wer oben bei Graf Hugo auf Besuch ist, kann das Stahlobjekt sehen, ansonsten bleibt es gut versteckt.

Das Element ist aus Cortenstahl gefertigt und wiegt etwa zehn Tonnen. Blick von oben in den Dachraum, der bis in den First genutzt wird.